Kursleiterin Simone Kostka-Krytinar leert Spielzeug auf den Boden. Die kleine Sarah schnappt sich sofort die Plastikente.

Sophie-Kristin Hausberger

Die Pädagogin lehrt die Mütter das Zeichen für Puppe.

Sophie-Kristin Hausberger

Beim gemeinsamen Tanzen kommen auch die Kleinen auf ihre Kosten.

Sophie-Kristin Hausberger

Vier Kinderwägen weisen unmissverständlich den Weg zum Eltern-Kind-Zentrum Happy Families in Wien-Donaustadt. Tatsächlich geht es an diesem Vormittag darum, Zeichen zu deuten. Denn neben den üblichen Angeboten für werdende oder frischgebackene Eltern bietet das Zentrum etwas Besonderes an: das Erlernen der "Zwergensprache" mittels Handzeichen für hörende Babys. Das Ziel: die Kommunikation in der Familie zu erleichtern, wenn das Baby noch keine Wörter formulieren kann.

Babyfreuden

Ein sonnendurchfluteter großer Raum lädt Eltern und Babys zum Verweilen ein. Nachdem die Mütter es sich auf hellgrünen Matratzen im Kreis gemütlich gemacht haben, geht es auch schon los. "Wiederholen wir doch die Zeichen von der letzten Stunde", sagt Simone Kostka-Krytinar. Zur Veranschaulichung hat die Kursleiterin Spielzeug mitgebracht. Als eine gelbe Plastikente aus dem Sack purzelt, quiekt Baby Sarah erfreut auf.

Die Babys hängen an den Lippen beziehungsweise Händen der Pädagogin, die die Aufmerksamkeit der Winzlinge routiniert ausnützt. "Das ist eine Ente", Kostka-Krytinar untermalt das Wort mit einer Gebärde, "die kennst du wahrscheinlich aus der Badewanne." Ihre Stimme ist sanft und ruhig, dennoch wählt die studierte Pädagogin die Wörter mit bedacht. Sie spricht langsam und mit Nachdruck.

Nötige Feinmotorik

Für vier Wiener Mütter ist es bereits die dritte Einheit, die sie gemeinsam mit ihrem Nachwuchs besuchen. "Mir ist es gar nicht aufgefallen, mein Mann hat mich darauf hingewiesen, dass Sebastian kürzlich beim Essen das Zeichen für Trinken gemacht hat", berichtet eine Teilnehmerin und deutet, während sie spricht, mit ihrer rechten Hand an, aus einem Glas zu trinken – offensichtlich die erlernte Geste. "Natürlich kann das aber auch nur Zufall gewesen sein", setzt sie nach kurzem Zögern hinzu.

Die Babys in der heutigen Einheit sind ungefähr neun Monate alt, ein gutes Alter für das Erlernen der Zeichensprache. Denn frühestens ab dem vierten Monat verfügen Babys über die nötige Feinmotorik, um die vorgeführten Gebärden nachzuahmen.

Acht Zeichen pro Stunde

Die Pädagogin beginnt zu singen, etwas zögerlich stimmen die Kursteilnehmerinnen ein. "Zeigt her eure Füße, zeigt her eure Schuh', und sehet den glücklichen Zwergenbabys zu. Sie baden, sie baden, sie baden den ganzen Tag." Bei fast jedem gesungenen Nomen mimen die Frauen eine einheitliche Geste. Die vier Babys sitzen in der Mitte des Matratzenkreises, die Augen weit aufgerissen, der Mund vor Spannung leicht geöffnet. Gesungen werden vorwiegend bekannte Melodien, die Texte sind adaptiert. Pro Stunde lernen die Mütter bis zu acht Zeichen, die sie so gut wie möglich in den Alltag der Familien einbauen sollen.

"Während in angelsächsischen Ländern das Erlernen der Babyzeichensprache nichts Ungewöhnliches ist, hat sich das Konzept im deutschsprachigen Raum noch nicht in diesem Ausmaß durchgesetzt", sagt Kostka-Krytinar. "Aktuell gibt es in Deutschland und Österreich immerhin 133 Trainerinnen." Die Zeichensprache, die sie ihre Kursteilnehmerinnen lehrt, hat ihren Ursprung in den USA. "Vor 40 Jahren hat man dort entdeckt, dass Babys auf mehr Zeichen reagieren als auf Bussi, Bussi und winke, winke, und dementsprechend ein Konzept zum Erlernen von Zeichen erarbeitet." Erst vor zehn Jahren brachte Vivane König, deren Sohn in England geboren wurde, das dort weit verbreitete Konzept mit nach Deutschland.

Komm, tanz mit mir

Laut Studien, die vorwiegend aus den USA oder England stammen, unterstützen die erlernten Gesten die Sprachentwicklung des Kindes nachhaltig. Die Sprachforscherin Marilyn Daniels von der Pennsylvania State University kommt zu dem Ergebnis, dass das Verwenden von Gebärden von Kindesbeinen an die spätere Sprachkompetenz hörender Kinder steigert. Diese Kinder verfügen später über eine bessere Rechtschreibung und einen größeren Wortschatz. Daher kann Kostka-Krystina die Skeptiker der Kursreihe nicht verstehen, die mutmaßen würden, dass das Baby durch die Zeichensprache keine Notwenigkeit sehen würde, zu sprechen zu beginnen. "Es ist einfach irrsinnig schön, wenn man schon sehr bald mit seinem Kind kommunizieren kann." Sie hat bei ihrer Tochter selbst das Konzept angewandt.

Nun naht der "sportliche Teil der Stunde", wie die Pädagogin erklärt. Sie schnappt sich einen großen Stoffbären, die Mütter nehmen ihre Babys hoch. Jetzt wird getanzt. Freudig quiekt der kleine Sebastian und gestikuliert wild mit den Händen, als seine Mutter ihn bei dem Lied "Stampf, wenn du fröhlich bist" herumwirbelt. "Puh, das ist ganz schön anstrengend", flüstert eine Teilnehmerin ihrem Buben ins Ohr, dieser verzieht keine Miene.

Das erste Zeichen

Nach der kleinen Tanzeinlage werden die Babys ruhiger, manche bekommen zur Stärkung ein Stück Kipferl oder einen Löffel Brei. "Wir müssen jetzt jausnen", entschuldigt sich eine Mutter. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass es kurz vor zwölf ist, die Einheit ist fast vorüber. Die Aufmerksamkeit der Babys, aber auch die der Mütter ist inzwischen sichtlich gesunken.

Nun werden die gelernten Zeichen wiederholt. Darunter: Mama, Oma, Onkel und Katze. In den kommenden zwei Monaten werden die Mütter bis zu 60 weitere Gesten lernen. Nach dem zwölfwöchigen Kurs würden die Babys von alleine beginnen, die Zeichen zu verwenden, sagt Kostka-Krytinar. Allerdings würden viele nicht sofort die Zeichen übernehmen, die Eltern als wichtig erachten. "Babys verwenden oft nicht die Geste für Windelwechseln oder Hunger, sondern die Zeichen, die sie besonders faszinieren", erklärt die Pädagogin. Ihren Beobachtungen zufolge mimen viele Babys als Erstes– je nach Jahreszeit – das Zeichen für Blume oder Stern. Die Babys haben sich inzwischen an die Körper ihrer Mütter geschmiegt, für sie ist jetzt erst einmal Schlafenszeit. (Sophie-Kristin Hausberger, 24.9.2015)