Bild nicht mehr verfügbar.

Schulpflichtige Kinder haben die Möglichkeit in Traiskirchen in die Schule zu gehen.

Foto: reuters/Foeger

Das Team: Direktorin Ulrike Sauberer, Heidemarie Bambazek, Annegrit Kern, Birgit Klement, El Hadji Habib Diarra und Pflichtschulinspektorin Elisabeth Leopold.

Foto: Standard/Kogelnik

El Hadji Habib Diarra wird auf dem Weg zur Badner Bahn von einem seiner Schüler begleitet. Er will seinem Lehrer dabei helfen, die Tasche zum Zug zu tragen. Diarra nutzt die Zeit dazu, den Unterricht zu verlängern. "Ich gehe", sagt er und geht. "Ich laufe", sagt er und läuft. "So hat er gleich zwei neue Wörter gelernt", erzählt der Lehrer später. "Das nenne ich handlungsorientiertes Lernen", sagt Pflichtschulinspektorin Elisabeth Leopold und lacht.

Diarra ist einer von vier Lehrern, die im Flüchtlingszentrum in Traiskirchen unterrichten. In zwei sogenannten Brückenklassen konzentrieren sich die Pädagogen vor allem auf das Deutschlernen. Die Schüler sind in vier Gruppen – je nach Alter und Können – aufgeteilt. Wie viele Kinder sie unterrichten, ist immer unterschiedlich, da die Größe der Klasse täglich wechselt, wenn Schüler neu ankommen oder vom Erstaufnahmezentrum in eine dauerhafte Unterkunft gebracht werden. Die Zahl pendle zwischen 80 und 150 Kindern, die zwischen sechs und fünfzehn Jahre alt sind. Laut Innenministerium sind derzeit rund 110 schulpflichtige Kinder in Traiskirchen gemeldet.

Freiwillige Teilnahme

Die Teilnahme am Unterricht ist freiwillig, es gehen also nicht alle schulpflichtigen Kinder, die im Erstaufnahmezentrum leben, in die Schule. Die Eltern werden laut Pflichtinspektorin Leopold über die Möglichkeit bei ihrer Ankunft informiert, um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kümmert sich die Jugendwohlfahrt. Trotzdem berichten Vertreter der Asylkoordination Österreich, dass manche Eltern und Jugendliche die Schule gar nicht kennen würden.

Ein Lokalaugenschein in die vier Klassenräume in Traiskirchen wird dem STANDARD nicht gewährt. Wenn man eine Journalistin in die Klasse mitnehme, würden das alle Journalisten wollen, und das sei zu viel für die Kinder, sagt Leopold. Sie hat die beiden Klassen im Schuljahr 2012/13 ins Leben gerufen. Stattdessen wird ein Gespräch mit den Lehrern, bei dem auch die Inspektorin und die zuständige Direktorin anwesend sind, arrangiert.

Außenstelle Erstaufnahmezentrum

Die sechs Pädagogen sitzen um den runden Esstisch des Lehrerzimmers der Neuen Mittelschule Traiskirchen. Die Schule in Traiskirchen betreibt die Brückenklassen im Erstaufnahmezentrum als Außenstelle.

Diarra ist im Alter von 21 Jahren dem Senegal mit einem Begabtenstipendium nach Österreich gekommen, um Lehrer zu werden. Seit 40 Jahren lebt er nun in Österreich. Er hat hier die Ausbildung zum Lehrer gemacht und war vor seiner Tätigkeit in Traiskirchen interkultureller Mitarbeiter an der Volksschule in Bad Vöslau. Diarra spricht fließend Deutsch, Englisch und Französisch. Auch die anderen romanischen Sprachen sowie Türkisch und Serbokroatisch könne er ein bisschen, sagt er.

Vokabeltraining mit Bildern

Wie kommuniziert man mit Kindern, wenn man deren Sprache nicht spricht? Die Lehrer lachen, sie hören diese Frage oft. "Ganz einfach, mit Bildern und Anschauungsmaterial", sagt Birgit Klement, die bis Februar 2014 Deutsch als Zweitsprache an einer polytechnischen Schule unterricht hat. Auch Körpersprache sei wichtig.

Die Schüler lernen auch, sich vorzustellen, erklärt Diarra: "Ich heiße Abdullah, ich komme aus Afghanistan, Afghanistan liegt in Asien." Die vier Lehrer haben gemeinsame Hauptthemen, an denen sie sich orientieren. Das sind zum Beispiel Nahrungsmittel, der Körper, Tiere oder Kleidung, sagt Annegrit Kern. Sie hat früher fünf Jahre lang in Guatemala an einer österreichischen Schule unterrichtet. "Diese Themen sind spiralförmig aufgebaut. Waren manche Kinder beim Thema Kleidung vor einem Monat schon da, baue ich mit ihnen Sätze – mit denen, die das zum ersten Mal hören, mache ich Vokabeltraining."

Normalität bieten

Finanziert werden die Brückenklassen aus verschiedenen Quellen. Das Innenministerium stellt den Schulraum und die Schultaschen zur Verfügung, das Bildungsministerium zahlt die Lehrer, und die Stadtgemeinde Traiskirchen füllt die Schultaschen mit Heften und Stiften.

Der Unterricht in Traiskirchen dauert oft nur zwei Wochen, weil die Kinder dann zu einer dauerhaften Unterbringung gebracht werden. Ein Zeugnis bekommen die Schüler also nicht, aber eine Bestätigung, dass sie die Schule besucht haben. Sie wolle den Kindern vor allem Normalität bieten, sagt Inspektorin Leopold. "Schule ist überall gleich. Man geht in der Früh hin, dort ist jemand, der sagt einem, was man am Vormittag machen soll, dann macht man das gemeinsam. Es ist sehr wichtig, dass die Kinder diese Struktur haben."

"Ort der Ruhe"

Heidemarie Bambazek ist Volksschullehrerin, hat Pädagogik studiert und unterrichtet seit Februar 2014 in Traiskirchen. "Wenn die Kinder bei uns sind, hat man den Eindruck, dass es für sie ein Ort der Ruhe ist", bestätigt sie. "Sie werden hier freundlich behandelt. Es herrscht eine sehr angenehme Atmosphäre, für uns und für die Kinder. Das ist sehr wichtig, wenn man den Hintergrund der Kinder beachtet und weiß, was sie mitgemacht haben." Die meisten hätten eine Flucht von mindestens sechs Monaten hinter sich. "Sie sind sehr gerne da, höflich und wahnsinnig dankbar für das, was sie hier machen. Es ist erstaunlich, wie schnell sie lernen."

Hausübung im Zeltlager

Alle vier Lehrer ärgern sich darüber, wenn es in manchen Medienberichten heißt, dass es in Traiskirchen keinen Unterricht gebe. Darüber, wie voll Traiskirchen ist, sagen die Pädagogen nicht viel. Immerhin sind derzeit rund 2.900 Flüchtlinge untergebracht, die maximale Kapazitätsgrenze liegt bei 1.800. "Die Zahlen gehen immer auf und ab", heißt es. Wie voll das Lager ist, klingt nur durch, als sich Kern darüber wundert, wo in den Zeltstädten die Schüler eigentlich ihre Hausübung machen. "Trotzdem: Sie bringen sie, obwohl sie nicht müssen."

Auch nach den wenigen Wochen in Traiskirchen halten die Schüler Kontakt mit ihren ersten Lehrern in Österreich. Bambazek berichtet stolz von einem ehemaligen Schützling, der jetzt die HTL besucht. Sie schreiben einander Nachrichten über WhatsApp. (Lisa Kogelnik, 25.9.2015)