Wo die Winterkälte Risse im Permafrostboden hinterlässt, lagern Schmelzwasserbäche im Frühjahr gern Steinchen und anderes Treibgut ab. Gefriert das Wasser in den Rissen dann erneut und dehnt sich aus, wird alles Eingelagerte ausgespuckt und auffällige Ringmuster entstehen, wie hier in Spitzbergen.

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Das Sonnblick-Observatorium wäre vor einigen Jahren beinahe selbst der Degradation von Permafrost zum Opfer gefallen.

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Potsdam/Wien – Es ist schwer vorstellbar, wie viel Kohlenstoff im Verborgenen schlummert: In den Permafrostböden sind weltweit etwa 1700 Milliarden Tonnen gespeichert, das ist doppelt so viel, wie die Atmosphäre enthält. Böden wie diese bilden sich, wenn ihre Temperatur mindestens zwei aufeinanderfolgende Jahre hindurch unter null Grad liegt. Beginnen sie zu tauen, wie aufgrund der Klimaerwärmung vielfach beobachtet, wird der gespeicherte Kohlenstoff an die Atmosphäre abgegeben: ein gewaltiger Einflussfaktor für das globale Klima. Und dennoch ist dieser Faktor in Klimaprognosen bisher nicht berücksichtigt worden.

"Bisher standen uns Informationen über Permafrost immer nur von bestimmten Regionen und in unterschiedlichsten Datenformaten zur Verfügung", sagt Boris K. Biskaborn, Wissenschafter am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Potsdam. Eine weltweite Kooperation von Permafrostwissenschaftern hat nun eine Lösung geschaffen: Vergangene Woche ging mit dem "Global Terrestrial Network for Permafrost" (GTN-P) ein neues Datenportal online, das es ermöglicht, globale Permafrostdaten in einer einheitlichen Form abzufragen und direkt in Klimamodelle einfließen zu lassen. Ein großer Fortschritt laut Biskaborn, der auch Direktor des Portals ist.

Verborgenes Eis

Permafrostböden sind gar nicht so selten: Circa ein Viertel der gesamten Landfläche auf der Nordhalbkugel unseres Planeten wird von Permafrost unterlagert. Der Großteil davon befindet sich in den Polarregionen, aber auch in Hochgebirgen wie den Alpen ist er anzutreffen. In Österreich schätzt man, dass auf rund 2000 Quadratkilometern, das sind 2,5 Prozent der Landesfläche, Permafrost liegt. Da das Phänomen über der Oberfläche meistens nicht sichtbar ist, muss man, um letzte Gewissheit zu haben, direkt im Boden Messungen vornehmen, sagt Annett Bartsch, Permafrostexpertin der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien, einer "nachgereihten Dienststelle" des Wissenschafts- und Wirtschaftsministeriums. Im Gegensatz dazu kann man Permafrostlandschaften in höheren Breiten an der typischen vieleckigen Musterung ihrer Oberfläche erkennen. Durch wiederholtes Gefrieren entstehen Risse im Eis, die während der Schmelze im Frühjahr mit Wasser gefüllt werden. Aufgrund der Kälte des Bodens gefriert dieses Wasser gleich wieder, dehnt sich aus, und die Musterung entsteht.

Ein typischer Permafrostboden setzt sich aus einer aktiven oberen Schicht, die jeden Sommer auftaut, und einem ständig gefrorenen unteren Teil zusammen. Die exakte Temperatur der gefrorenen Schichten und auch die jährliche Auftautiefe können Wissenschafter über Messungen in Bohrlöchern ermitteln. Die Auftautiefe gibt Aufschluss über kurzfristige Klimaschwankungen, während die Temperaturen in den unteren Schichten auf längerfristige Klimaveränderungen hinweisen.

Der gefrorene Boden könnte aber auch mit einer gigantischen Kühltruhe verglichen werden: Während in normalen Böden organische Materie durch Mikroorganismen abgebaut wird, hält der Permafrost riesige Mengen an Pflanzenresten über lange Zeit konserviert. Beginnt das Bodeneis zu tauen, wird das organische Material zersetzt, und der gespeicherte Kohlenstoff gelangt in Form der treibhauswirksamen Gase Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre. "Das Freiwerden dieser Gase führt zu einer weiteren Klimaerwärmung, wodurch der Permafrost noch weiter auftaut und somit ein selbstverstärkender Kreislauf in Gang gesetzt wird", erklärt Biskaborn. Permafrost ist also nicht nur Indikator des Klimawandels, sondern trägt auch direkt zu dessen Verstärkung bei. Dennoch waren bisherige Schätzungen über die Ausmaße zukünftiger Kohlenstoffemissionen vage und reichten von 50 bis 350 Milliarden Tonnen im Laufe dieses Jahrhunderts.

Ein weltweites Datenportal

Um diese Unsicherheiten ein für alle Mal zu beseitigen, schlossen sich Wissenschafter aus 25 Ländern zur Schaffung des neuen Datenportals zusammen. Die frei zugängliche Datenbank liefert standardisierte Informationen über Temperatur und Auftautiefe von Bodeneis von – zum jetzigen Zeitpunkt – 1091 Bohrlöchern in der Arktis, der Antarktis und den Hochgebirgsregionen Europas und Asiens. Polarforscher Biskaborn beschreibt den großen Vorteil des Portals: "Daten werden schon beim Einpflegen standardisiert, und die Datenausgabe erfolgt bereits in einem modelltauglichen Format."

Karte der Permafrostzonen und Messstationen der nördlichen Hemisphäre.
Foto: http://gtnp.arcticportal.org

Er spricht aber auch von einem Frühwarnsystem: "Steigt die Auftautiefe des Permafrosts global betrachtet an, würde das durch unser Datenportal augenscheinlich werden." Doch auch auf regionaler Ebene sind derartige "Alarmglocken" von Bedeutung: Da es durch das Tauen von Permafrost zu Absackungen von Gebäuden und Straßen kommen kann, sollten Bodenverhältnisse bereits im Vorfeld von Bauarbeiten geprüft werden. Die Datenbank ist daher nicht nur für Wissenschafter, sondern auch für Entscheidungsträger in der Wirtschaft (Bauträger) oder Privatpersonen zugänglich.

Österreich ist in dem Datenportal mit insgesamt neun Bohrlöchern am Kitzsteinhorn, am Dachsteinmassiv und am Hohen Sonnblick vertreten. Dabei wäre das berühmte Sonnblick-Observatorium, an dem bereits seit 1886 klimatologische Messungen durchgeführt werden, 2001 beinahe selbst ein Opfer der Klimaerwärmung geworden: Der Permafrost in der Bergspitze hatte zu tauen begonnen und den Gipfel fast zum Abstürzen gebracht. Durch groß angelegte bautechnische Maßnahmen konnte das Observatorium aber gerettet werden. Von einem Frühwarnsystem mit modelltauglichen Datenmengen kann man in Österreich derzeit aber noch nicht sprechen, merkt die Geografin Bartsch an. Ein dichteres Datennetz wäre notwendig, um zukünftige Entwicklungen besser verstehen zu können. (Renate Degen, 25.9.2015)