Wien – Es erinnert an einen Horrorfilm, wie die prallgefüllten Säcke von der Kellerdecke hängen. Das schummrige Licht, die weiß gestrichenen Wände und die Feuchtigkeit, die in Nebelschwaden von einem Luftbefeuchter hinaufsteigt, tun das Ihre dazu, die unheimliche Assoziation einer Schlachthalle zu wecken.
Fleisch ist aber nicht zu sehen. Kaffeegeruch liegt stattdessen in der Luft. Große weiße Austernpilze wachsen in seltsamen Formationen aus den Kunststoffsackerln, die mit einem Gemisch aus Hirse, Kalk, Kaffeesatz und Pilzfäden befüllt wurden.
Müllvermeidung
Manuel Bornbaum und Florian Hofer betreiben seit Juni dieses Jahres eine urbane Kaffeesatzpilzfarm in Wien. Eine grüne alte Blechtür im 20. Bezirk führt in die Räumlichkeiten von "Hut und Stiel", in denen von der Luftfeuchtigkeit bis zu den Lichtverhältnissen alles an die Bedürfnisse des Fungus angepasst ist.
Bornbaum studiert Agrarwissenschaften an der Universität für Bodenkultur, Hofer Maschinenbau an der TU in Wien. Das Thema Müllvermeidung beschäftigte die 27-Jährigen. Über das Mushroom Learning Network vernetzten sie sich mit anderen Farmern und erlernten – etwa bei einem Workshop in Rotterdam – das Handwerk der Kaffeesudpilzzucht, einer Zero-Waste-Bewegung, die sich seit den 1990er-Jahren weltweit verbreitet.
"Kreislauf schließen"
"68.000 Tonnen Kaffee werden jährlich nach Österreich importiert, aber nur ein Prozent davon landet in der Tasse", sagt Bornbaum. Statt den Rest wegzuwerfen, wird er für die Lebensmittelproduktion verwendet. Und was nach der Ernte übrig bleibt, kompostieren Bornbaum und Hofer und liefern es als Wurmfutter an einen landwirtschaftlichen Betrieb. "Wir wollen den Kreislauf schließen", erzählen sie.
Ein Dorn im Auge seien ihnen die Sackerln aus Plastik, die sie für die Zucht benutzen müssen. Doch die kompostierbaren würden bis zur Ernte nicht überleben. Das Myzel, also die Pilzfäden, sei zu aggressiv. Eine Lösung stehe noch aus.
Erstaunte Lokalbetreiber
Die zwei Stadtfarmer holen mit ihrem Lastenrad in derzeit sieben Cafés und zwei Seniorenheimen den angefallenen Kaffeesud ab – 2000 Kilo haben sie seit Juni gesammelt und damit den Nährboden für 250 Kilo der beliebten Schwammerlart bereitet. Die Lokalbetreiber seien zu Beginn erstaunt gewesen, hätten aber positiv reagiert. "Es macht ihnen ja keine Arbeit", so Bornbaum.
Die geernteten Austernpilze verkaufen die beiden auf Märkten, an Restaurants und Foodcoops; weniger schöne Exemplare lassen sie zu Aufstrichen verarbeiten.
Shiitake und Kräuterseitlinge
Leben können Bornbaum und Hofer von der Pilzzucht noch nicht. Ihr Ziel sei, wöchentlich aus 500 Kilo Kaffeesud 80 bis 100 Kilo Schwammerln zu ernten. Bald könnten sie auf Bioproduktion umstellen. Und sie wollen ihr Sortiment um Shiitake und Kräuterseitlinge erweitern.
Eine kleine Pilzzucht lässt sich übrigens auch privat einrichten – etwa in einer Salatschleuder im Büroschrank. Die Testfarm in der STANDARD-Redaktion zeigt Erfolg. (Christa Minkin, 24.9.2015)