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Überoptimistische Anleger, die versuchen, einen Bullen zu lange zu reiten, riskieren eine harte Landung.

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Grafik: STANDARD

Wien – Bis ins Frühjahr knallten an den Aktienmärkten in den USA und Europa regelmäßig die Korken, seitdem herrscht unter Börsianern Katzenjammer. Die Wall Street hat dadurch nicht nur alle Gewinne im Jahresverlauf wieder abgegeben, sondern notiert, gemessen am Dow Jones Industrial, rund sechs Prozent unter dem Niveau von Ende 2014. Etwas besser sieht es in Europa aus: Der Dax liegt heuer nur knapp unter Wasser, der Wiener ATX sogar zwei Prozent darüber.

Jedenfalls hat sich heuer die alte Börsenweisheit "Sell in May", die sich auf die an der Börse traditionell schwachen Sommermonate bezieht, als zutreffend erwiesen. Üblicherweise nehmen die Aktienmärkte im Herbst wieder an Fahrt auf, sofern es sich bei den jüngsten Rückgängen nur um eine zwischenzeitliche Korrektur in einem übergeordneten Aufwärtstrend handelt. Anderenfalls wären die Börsen klammheimlich in einen Bärenmarkt geschlittert, also eine längere Phase sinkender Kurse.

Bullen- oder Bärenmärkt

Zumindest der Dax steht derzeit bedenklich auf der Kippe. Seit dem Tief nach der Lehman-Krise im März 2009 hat der deutsche Leitindex bis zu seinem Hoch im April um 238 Prozent zugelegt, seither jedoch wieder mehr als ein Fünftel eingebüßt – wobei ein Bärenmarkt vielfach mit nachhaltigen Rückschlägen von mehr als 20 Prozent seit dem letzten Hoch definiert wird. Besser sieht es an der Wall Street aus, der Dow Jones liegt bloß 10,8 Prozent unter seinem Höchststand.

Zwar vermisst Helge Rechberger heuer an den US-Börsen generell die Dynamik vergangener Jahre, was der Analyst der Raiffeisen Bank International auf die Dollarstärke, die Sorgen um die Weltkonjunktur sowie Spekulationen über Zeitpunkt und Geschwindigkeit einer Zinswende in den USA zurückführt. Allerdings geht er davon aus, dass sowohl das Wachstum in China als auch die Zinsunsicherheit künftig abnehmen werden – Raiffeisen erwartet nun im Dezember eine Zinserhöhung der US-Notenbank Fed. Alles in allem empfiehlt Rechberger im Strategieausblick auf das vierte Quartal US-Aktien zum Kauf.

US-Aktien nicht ausgesprochen teuer

"Die vergleichsweise robuste wirtschaftliche Verfassung der USA und die damit einhergehende Unterstützung der Unternehmensgewinne sprechen für den US-Aktienmarkt", erläutert Rechberger. Zwar sollen die Erträge an der Wall Street heuer bloß um ein Prozent steigen, 2016 aber wieder deutlich anziehen. Die Bewertung von US-Aktien stuft er als "nicht ausgesprochen teuer" ein: "Sie liegt aber höher als jene der meisten europäischen Aktienmärkte."

Auch für die Eurozone lautet die Empfehlung für den Gesamtmarkt: kaufen. Die Konjunkturdynamik sei zwar nicht berauschend, aber solide. Dank der Anleihenkäufe der EZB stellt sich das Liquiditätsumfeld als weiterhin vorteilhaft dar. Der Einfluss einer Abschwächung Chinas sei nicht so dramatisch, das Gewinnwachstum in der Eurozone sollte heuer dennoch zumindest zwölf Prozent betragen.

ATX-Gewinne vor Verdoppelung

Für den Wiener Aktienmarkt zeigt sich Fritz Mostböck, Chefanalyst der Erste Group, grundsätzlich zuversichtlich gestimmt – und zwar aus zweierlei Gründen: Einerseits sollten sich die für heuer erwarteten Gewinne im ATX mehr als verdoppeln, nachdem die Profite 2014 wegen Ertragsschwierigkeiten von Indexschwergewichten um mehr als die Hälfte eingebrochen sind. Im kommenden Jahr sollte die Gewinnentwicklung wieder in ruhigeres Fahrwasser zurückkehren, die Prognose liegt bei einem Anstieg um fast 15 Prozent. "Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis um 13 ist der Markt relativ günstig", folgert Mostböck.

Zudem seien im Zuge der aktuellen Schwellenländerkrise die Märkte Osteuropas und damit auch Wien abgestraft worden – zu Unrecht, wie Mostböck betont: "Da wurde offensichtlich alles über einen Kamm geschoren. Wenn sich das internationale Umfeld etwas beruhigt, wird die Wiener Börse ein Outperformer sein." Der Erste-Analyst hält einen Anstieg zwischen fünf und sieben Prozent bis Jahresende für realistisch. "Aber wir werden weiter in einem volatilen Umfeld leben", gibt Mostböck zu bedenken. (Alexander Hahn, 26.9.2015)