Die EU ächzt, weil ein paar Hunderttausend Flüchtlinge kommen, während in der Türkei, Jordanien und im Libanon vier Millionen aus Syrien vertriebene Menschen leben. Hätte die Union in der Vergangenheit mehr getan, um diesen Staaten zu helfen, hätten sich vielleicht nie so viele Menschen auf den Weg in Richtung Europa gemacht.
Dies ist einer der häufigsten Vorwürfe, die aktuell gegen die EU erhoben werden. Besonders die Uno-Organisation UNHCR und das Welternährungsprogramm WFP klagen über akute Unterfinanzierung. Aber stimmt das, leistet die Union zu wenig Nothilfe?
Die Antworten finden sich bei der Industriestaatenorganisation OECD. Sie registriert jede internationale Hilfeleistung. So lässt sich etwa sagen, dass EU-Staaten plus die Kommission im vergangenen Jahr 90 Milliarden Euro für internationale Entwicklungshilfe ausgegeben haben. Damit ist Europa der mit Abstand größte Finanzier, weit vor den USA.
Trend ging nicht mehr nach oben
Wie verhält es sich mit Zahlungen an Länder im Nahen Osten? Auf den ersten Blick ähnlich positiv. In den vergangenen zehn Jahren hat die EU ihre Entwicklungshilfe für die Region deutlich angehoben. Vor zehn Jahren erhielt die Türkei 270 Millionen Euro pro Jahr, inzwischen sind es 2,7 Milliarden. Die Mittel für Jordanien wurden im selben Zeitraum verdoppelt. Zuletzt ging der Trend aber nicht mehr nach oben, im Fall der Türkei gab es sogar einen Rückgang. Doch bei diesen Zahlen gibt es ohnehin einen Haken: Staaten dürfen viele Mittel als Entwicklungshilfe einrechnen, obwohl dieses Geld nie außer Landes fließt. So etwa die Betreuungskosten für Asylwerber im Inland.
Aussagekräftiger ist daher die humanitäre Hilfe. Darunter werden jene Notmaßnahmen verstanden, die auch den Asylwerbern vor Ort zugutekommen, wie die Versorgung mit Nahrungsmitteln in Flüchtlingslagern. Die EU hat ihre humanitäre Hilfe für alle Länder rund um Syrien zuletzt deutlich angehoben. Doch die Zahlen blieben bescheiden. Die Türkei erhielt demnach zuletzt insgesamt nur 30 Millionen Euro an humanitärer Hilfe, der Libanon bekam 115 Millionen.
Österreichs kleiner Anteil
Die jüngsten verfügbaren Zahlen der OECD zeigen die Entwicklung für 2013. Doch da war die Flüchtlingskrise in der Region bereits voll im Gang. Von Österreich bekam die Türkei direkt null humanitäre Hilfe, das meiste Geld erhielt der Libanon (1,5 Millionen).
"Die EU hat bereits angefangen, mehr zu tun", sagt der französische Migrationsexperte Philippe Fargues dem STANDARD. "Doch angesichts der gewaltigen Fluchtbewegung ist es nicht genug."
Die mangelnde Versorgung der Menschen vor Ort und fehlende Perspektiven zählen zu jenen Gründen, warum viele Flüchtlinge weiterfliehen, so Fargues. Er bringt das Beispiel Libanon: Dort leben 1,1 Millionen syrische Flüchtlinge. Weil das Land wirtschaftlich und sozial überfordert ist, werden Neuankömmlinge inzwischen abgewiesen. Syrer, die über ein Jahr da sind, werden offiziell sogar angehalten, das Land zu verlassen. Ließe sich die Fluchtbewegung stoppen, wenn vor Ort mehr Hilfe geleistet würde? Nein, sagt die österreichische Expertin für Entwicklungshilfeströme, Hedwig Riegler. "Aber bessere Lebensbedingungen würden dafür sorgen, dass langfristig weniger Menschen kommen".(szi, 24.9.2015)