Jedes Jahr laufen in Top-Fußballigen jede Menge Davids gegen scheinbar übermächtige Goliaths an. Seien es Teams wie Wolfsburg oder Köln, die sich mit Bayern messen müssen, Mannschaften wie Granada oder Getafe, die auf Punkte gegen den FC Barcelona und Real Madrid hoffen.

Gleiches lässt sich auch im digitalen Fußballsport erkennen. Dort ist der Bewerb um die Gunst der Fans auf Konsolen und dem PC allerdings zum Zweikampf geraten. Seit Jahren wiederholt sich die immer gleiche Fragestellung: Goliath "Fifa" oder David "Pro Evo". Der GameStandard hat sich die diesjährige Ausgabe des ewigen Underdogs "Pro Evolution Soccer" angesehen, der heuer seinen 20-jährigen Bestand feiert.

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Klare Verhältnisse beim Lizenzduell

Mehr Geld zu haben ist vorteilhaft. Hinter "Fifa" steht Electronic Arts und damit einer der größten und erfahrensten Games-Publisher. Die Ressourcen für Werbung sind ungleich höher und auch heuer fährt die "Fifa"-Reihe wieder das deutlich dickere Lizenzpaket auf. Konami, der vergleichsweise kleine japanische Publisher und Entwickler bringt auf europäischer Ebene die Ligue 1 und La Liga mit originalem Bewerbsnamen und Teams, 19 Teams aus der Serie A (die nicht so heißt), vier Teams der deutschen Bundesliga sowie Manchester United aus der Premier League.

Darüber hinaus finden sich noch weitere einzelne Teams und diverse Kader mit Originalnamen im Sortiment. Die Uefa Champions League, Europa League und der Super Cup gehören ebenfalls dazu. Dazu gesellt sich ein bunter Mix aus Lateinamerika und Asien sowie elf Original-Stadien. In Summe hat man EA hier immer noch wenig entgegen zu setzen und hinkt bei der Aktualität der Kader außerdem hinterher.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Community in Sachen Fanpatch-Unterstützung für die PC-Version aufgrund des wenig kooperativen Verhaltens von Konami vom Spiel abgewandt hat. Hier besteht aber eine Chance auf Besserung, denn neuerdings liefert der Hersteller auch einen Editor für PS4 und Xbox One mit.

Konami hat die Menüs optisch überarbeitet und aufgeräumt. Besonders vorteilhaft erweist sich das im Master League-Modus.
Foto: Konami

Moderne Menüs

Was zählt ist freilich "auf dem Platz", wie eine deutsche Fußballweisheit festzuhalten pflegt. Nachdem man mit "PES 2015" ein im Grunde gutes, aber nur halbfertiges Spiel abgeliefert hatte, soll der jüngste Teil nun vollends zeigen, dass die viel gelobte "Fox Engine" den virtuellen Kick aufs nächste Level heben kann.

Doch vor dem Blick auf den Rasen lohnt sich ein kurzer Blick in die Menüs. Vom Hauptmenü bis zur manuellen Konfiguration taktischer Einstellungen hat Konami die Navigation einer Überarbeitung unterzogen. Die Dialoge sehen endlich nicht mehr so aus, als wären sie direkt einem japanischen Rollenspiel für die Playstation 2 entnommen, sondern wirken einigermaßen modern. In vielen Fällen – insbesondere der Master League – wurde die Navigation auch entschlackt und frisst nun weniger Zeit. Vielerorts erschließt sich die Logik der Anordnung aber immer noch nicht gut, es gibt weiter einigen Verbesserungsbedarf.

Butterweiche Animationen

Der augenscheinlichste Unterschied am Feld ist das deutlich verbesserte Animationssystem. War "PES 2015" hier schon recht ansehnlich, fallweise aber abgehakt, laufen Spieler und Ball nun butterweich über das Grün. Kollisionen werden realistisch berechnet, böse Fouls sind folglich entsprechend schmerzhaft mitanzusehen.

Das Polygon-Kunstleder verhält sich ebenso passend. Ist "Pro Evolution Soccer" ohnehin schon lange dafür bekannt, ein Spielgefühl zu liefern, das nicht suggeriert, der Ball würde dem jeweiligen Kicker an den Füßen kleben, ist die Kugel nun freier als je zuvor. Das hat positive und negative Konsequenzen.

Aus der Distanz fällt die detailarme Grafik der PC-Version kaum auf, an die geringe Bedeutung der Plattform im Verkauf erinnert jedoch jede Zwischensequenz und Zeitlupen-Wiederholung.
Foto: Konami

Die Folgen der Physik

Das Gute daran ist, dass der Kick dadurch deutlich realistischer wird. Es gilt aufzupassen, sich bei Flanken, Pässen und Schüssen in einer guten Position zum Ball zu befinden. Sensationseinlagen sind natürlich nicht ausgeschlossen, setzen aber entweder Glück oder einen Kicker mit entsprechend hohen Attributen und in jedem Fall gutes Timing voraus. In der Tat wirken sich die Werte des Ballführenden nun noch spürbarer aus, als dies in "PES" ohnehin schon der Fall ist.

Die zweite Konsequenz – ob positiv oder nicht, kommt auf den individuellen Spielstil an – ist, dass es nun Pflicht ist, zumindest die grundlegende Technik-Steuerung gut zu beherrschen, um wenigstens die KI in höheren Schwierigkeitsgraden schlagen zu können. In den vergangenen Jahren reichte es dafür, sich vor allem eine gute Taktik zurecht zu legen. Die Fähigkeit, mit Formation und Spieleranweisungen die Schwächen der gegnerischen Aufstellung auszunutzen macht freilich bei technisch gleichwertigen Spielern auch jetzt immer noch den Unterschied.

Problematisch wird die physikalische Korrektheit zum Teil aber in Strafraumsituationen. Spätestens, wenn einige Kicker des verteidigenden Teams zurückgeeilt sind oder das Leder nach einer Ecke nicht aus dem Sechzehner befördert wurde, entsteht aufgrund der tendenziellen Unkontrollierbarkeit des Balles nicht selten eine Art Flipper-Spiel, bei dem am Ende der glücklichere "Pinball Wizard" die Situation klärt oder das Runde ins Eckige bringt.

In Sachen Animationen setzt das neue "PES" Maßstäbe. Dank der Kollisionsberechnung sehen brutale Fouls auch schmerzhaft aus.
Foto: Konami

Unentschlossene KI

Bei allem Realismus, den "PES 2016" auf den Schirm zaubert, gibt es auch eine Reihe Mängel, die mal schwächer und mal stärker auffallen. Während die Laufwege der KI Kollegen beim Spiel mit assistierter Steuerung relativ nachvollziehbar und meist intelligent sind, kommen die virtuellen Teamkollegen auf allerlei seltsame Ideen, wenn man Pässe manuell spielt. Selbst wenn man dies einigermaßen genau und gekonnt tut.

Offenbar setzt die Antizipationsgabe der künstlichen Intelligenz öfters aus, wenn die genaue Passrichtung keinem Automatismus mehr entspringt. Sofern man nicht gewillt ist, sich den seltsamen Ideen der Mitspieler anzupassen, kann ihr Verhalten auf lange Sicht frustrieren.

Eigenartige Interpretationen des Regelwerks liefert mitunter auch der Schiedsrichter. Fouls werden generell gut als solche erkannt, für die Bewertung ihrer Kartenwürdigkeit dürfte aber ein Zufallsgenerator zuständig sein. Es kann durchaus vorkommen, dass der Referee mehrere Rutscheinlagen in den sonst alleine auf das Tor zulaufenden Stürmer mit einem Freistoß würdigt, sonst aber ungeahndet lässt, während zwei etwas rauere Körperkontakte im Mittelfeld zum Ausschluss via Ampelkarte führen.

Das Wetter kann nun während eines Matches umschlagen.
Foto: Konami

Kein Hexenkessel weit und breit

Wesentlich für Fußball-Feeling ist Stadionatmosphäre. Trotz aller spielerischen Fortschritte hinkt "PES" hier der "Fifa"-Serie traditionell nach. Das hat sich auch heuer nicht geändert. Das Getöse der Fans wirkt fallweise beliebig, andererseits zu berechenbar. Das Gefühl, in einem Hexenkessel anzutreten, entsteht praktisch nie.

Die Kommentatoren liefern immerhin im Rahmen ihres begrenzten Repertoirs eine gute TV-artige Untermalung, wetzen die Kerbe aber auch längst nicht aus. Immerhin: Nett und auch spielerisch relevant umgesetzt sind die Einflüsse des Wetters, das sich nun während der Partie ändern kann.

Die PC-Umsetzung, eine Unsportlichkeit

An dieser Stelle muss auch explizit die PC-Portierung erwähnt werden, die eine Art Blutgrätsche gegen nicht auf Konsolen spielende "PES"-Gemeinde darstellt. Obwohl die Next-Gen-Konsolen ohnehin nun faktisch mit PC-Hardware laufen, wurde das Game offenbar mit Bedacht auf die schwächsten Konfigurationen ausgelegt, statt den Detailgrad und die Qualität der Darstellung einfach anpassbar zu machen.

Fällt während des Spiels etwa das Publikum aus lieblosen, farbig eintönigen Klonen noch am ehesten auf, macht sich die Low-Fi-Umsetzung bei jeder Zwischensequenz und Zeitlupenwiederholung schmerhaft bemerkbar. Die Texturen diverser Oberfläche und Objekte sind geradezu absurd niedrig aufgelöst. Und auch manche Items selbst wurden offenbar zahlreicher Polygone beraubt. Die TV-Kameras am Spielfeldrand wirken bei näherer Betrachtung, als hätte sie jemand aus dem ersten "Half-Life" importiert – womit die Brücke zum PlayStation 2-Zeitalter geschlagen wäre.

Bei allem Verständnis dafür, dass sich die Konsolenumsetzungen aus verschiedenen Gründen deutlich besser verkaufen, als die Windows-Version, muss man Konami hier schon fragen: Was soll das? Immerhin wird der übliche Vollpreis verlangt, dementsprechend sollte man auch ein vollwertiges Produkt erwarten können. Zumindest theoretisch hat der Hersteller noch die Chance, für Wiedergutmachung zu sorgen.

Spielt man mit manuellen Kontrollen, wählen die eigenen Mitspieler teils bizarre Laufwege.
Foto: Konami

Wenig Neues bei den Spielmodi

Bei den Spielmodi bleibt, sieht man von Vereinfachungen bei der Master League und mehr Gestaltungsoptionen für den eigenen Kicker in "Become a Legend" ab, alles beim Alten. Es ist nach wie vor recht motivierend, sich aus einer schwachen Noname-Truppe durch geschickte Transfers ein erfolgreiches Spitzenteam zu basteln. Und auch der Karriereweg eines Einzelspielers vermag eine Weile zu motivieren.

Bestehende Schwächen wurden allerdings nicht ausgemerzt. Spielzeit, an der man in "Become a Legend" nicht aktiv beteiligt ist, kann man nach wie vor nur durch zweifache Beschleunigung überbrücken, was bei Matchzeiten von zehn Minuten immer noch mehrere Minuten Wartezeit bedeutet. Dazu muss man selbst als Strafraumstürmer hinten aushelfen, um das recht eintönige Mittelfeld- und Strafraumgeplänkel der KI zu beenden und Angriffe in Schwung zu bringen. Das bedeutet wiederum, die zugewiesene Position zu verlassen, was sich negativ auf die Bewertung der eigenen Leistung durch den Coach auswirkt.

Sehr gut, aber nicht großartig

Trotz aller Mängel besteht kein Zweifel daran, dass "PES 2016" ein guter Schritt nach vorne und das aktuell wohl realistischste Fußballerlebnis in Videospielform bietet. Eine Einschätzung, die auch von vielen anderen Kritikern geteilt wird.

Der Enthusiasmus, wie ihn einige Fachseiten zum Jubiläum der "PES"-Reihe transportieren, ist überzogen und liegt vielleicht einfach am gefühlt großen Unterschied zum – wie erwähnt unfertigen – Vorgänger. Selbst wenn man die schludrige PC-Umsetzung beiseite lässt, bleiben zu viele kleine Mängel übrig, die man nach all den Jahren an Fußballsimulationsentwicklung eigentlich schon unter Kontrolle haben sollte.

Was wiederum an der Sinnhaftigkeit jährlicher Neuauflagen zweifeln lässt. Doch das ist ein Thema, das an anderer Stelle noch erörtert werden wird. (Georg Pichler, 25.09.2015)

"Pro Evolution Soccer 2016" ist bereits für PC, Xbox One, Xbox 360, Playstation 4 und Playstation 3 erschienen.