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Flüchtlinge haben gerade die mazedonisch-griechische Grenze überquert und machen sich auf den Weg in Richtung Norden.

Foto: EPA/GEORGI LICOVSKI

Die wohl am häufigsten gestellte Journalistenfrage nach dem Ende des EU-Sondergipfels zur Flüchtlingskrise in Brüssel lautete: "Hat es denn ordentich gekracht?" Erst am Dienstag hatten die EU-Innenminister gegen den Widerstand mehrerer osteuropäischer Staaten beschlossen, einen beispiellosen Umverteilungsmechanismus für Flüchtlinge in Gang zu setzen.

Es könnte deshalb zu einem Eklat beim Treffen der Staats- und Regierungschefs einen Tag später kommen, wurde spekuliert. Dass Staaten überstimmt werden, noch dazu bei einer heiklen Materie, kommt schließlich so gut wie nie vor. Doch der große Krach blieb aus. Die EU-Länder haben sich in der Nacht auf Donnerstag darauf geeinigt, eine Milliarde Euro an zusätzlichen Hilfsgeldern für Syriens Anrainerstaaten zur Verfügung zu stellen. Die Mittel sollen dem Welternährungprogramm und dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR zugutekommen. Wobei ein Blick auf die Statistik zeigt, dass manche Länder, darunter Österreich, mit erhöhten Beiträgen nur Kürzungen aus der Vergangenheit ausgleichen werden. (siehe Grafik)

Außerdem haben Italien und Griechenland zugesagt, neue Anlaufstellen für Flüchtlinge bis Ende November einzurichten. Zum Umverteilungsplan der Asylwerber habe es keine langen Diskussionen gegeben, sagte Österreichs Kanzler Werner Faymann.

Damit dürfen Griechenland und Italien mit der Verteilung der Flüchtlinge beginnen. Bis zu 160.000 Asylwerber könnten die beiden Länder schicken. Für etwa 100.000 Flüchtlinge, die in den kommenden zwei Jahren ankommen, gibt es bereits konkrete "Platzzusagen" von anderen EU-Staaten. Doch im EU-Plan gibt es mehrere Knackpunkte.

Finden sich überhaupt genug Asylwerber, um umverteilt zu werden?

Die Frage klingt auf den ersten Blick verwirrend. Immerhin belegen alle Zahlen eine massive Zunahme der Zahl der Asylwerber in Europa. Laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex sind in den ersten acht Monaten des Jahres mehr als 110.000 Migranten irregulär nach Italien eingereist. Doch laut jüngsten Eurostat-Zahlen kommen die meisten Antragsteller derzeit aus Nigeria, Gambia, Pakistan, dem Senegal und der Ukraine. Mehr als 50 Prozent der Schutzsuchenden in Italien stammen aus einem dieser fünf Länder.

Laut Beschluss der Innenminister können aktuell aber nur Menschen aus dem Irak, Eritrea und Syrien von Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten verteilt werden. Die italienische Regierung hat die EU-Kommission, die das System vorgeschlagen hat, auf dieses Problem hingewiesen. Doch die EU-Behörde wollte den strittigen Plan nicht weiter ändern und mit einem Beschluss demonstrieren, dass Europa handlungsfähig ist.

Werden die Flüchtlinge bereit sein, in ein anderes Land zu gehen?

Die neuen Regeln werden die geltenden Dublin-Bestimmungen modifizieren. Beispiel: Bisher galt, dass ein Syrer, der über die Türkei nach Griechenland eingereist ist, dort Asyl beantragen musste. Nun ist das anders. Flüchtlinge, die umverteilt werden, müssen im neuen Aufnahmeland um Schutz ansuchen. Dort finden dann ihre Asylverfahren statt. Doch die Chancen, Asyl zu bekommen, sind in den einzelnen EU-Staaten sehr unterschiedlich.

Ungarn erkennt zum Beispiel nur neun Prozent der Anträge an, in Schweden erhalten 80 Prozent der Antragsteller Schutz. Manche Länder sind also interessanter für Flüchtlinge. Diese können sich nicht aussuchen, wohin sie kommen, ob sie nun nach Budapest oder Stockholm geschickt werden. Doch Experten sagen, dass man sicherstellen wird müssen, dass die Asylwerber ihrer Umsiedlung zustimmen, weil ansonsten Gewalt eingesetzt werden müsste. Notwendig sein wird laut Migrationsfachleuten zum Beispiel, die Menschen genau zu informieren. Dafür sind freilich personelle und finanzielle Kapazitäten nötig.

Können Griechenland und Italien genug Menschen schicken?

Womit das nächste Problem angesprochen ist. Die italienischen und griechischen Behörden sind wegen der vielen Flüchtlinge überfordert. Aktuell werden vor allem in Griechenland nur wenige Asylwerber mit Fingerabdruck registriert. Die meisten verlassen das Land in Richtung Deutschland, sobald sie können. Das muss sich laut EU-Beschluss ändern. Nur Flüchtlinge, die registriert sind, dürfen in andere EU-Staaten geschickt werden. Das EU-Asylkoordinationsbüro (Easo) soll den Griechen und Italienern bei der Registrierung helfen. Doch Easo hat ein Minibudget von wenigen Millionen Euro. Auf Athen und Rom kommt also eine bürokratische Mammutaufgabe zu.

Wie verhindert man, dass die Asylwerber in ein anderes Land geschickt werden – und dann doch alle nach Deutschland gehen?

Ein Flüchtling ist verpflichtet, in seinem Aufnahmeland zu bleiben, darf also nicht nach Deutschland, das aktuell beliebteste Zielland, weiterreisen. Doch die Grenzkontrollen im Schengenraum sollen nur vorübergehend sein und erfolgen nur punktuell. Ein Asylwerber kann also in Lissabon in den Zug steigen und bis nach Berlin oder Köln fahren. Die Kommission sagt darauf, dass bei einer illegalen Weiterreise in einen anderen Staat rasch Rückschiebungen stattfinden müssen. Außerdem stehen Flüchtlingen die Sozialleistungen (Unterkunft, Kleidung, Taschengeld) nur in jenem Land zu, das ihnen zugewiesen wurde. In der Realität sind die Chancen für die Menschen dennoch in jedem Staat anders: Während in Spanien fast jeder Vierte arbeitslos ist, herrscht in Deutschland ein Boom auf dem Arbeitsmarkt.

Was, wenn sich Länder nicht an die Abmachungen halten?

Ursprünglich war eine Strafzahlung für Staaten vorgesehen, die nicht bereit sind, Flüchtlinge im Rahmen des Verteilungsplans zu übernehmen. Diese Bestimmung ist gefallen. Das macht auch Sinn: Denn die neue Regelung sieht im Prinzip keine Ausnahmen vor. Kein Land kann sich freikaufen, jedes muss also die im Innenministerbeschluss festgeschriebene Zahl an Asylwerbern aufnehmen. Im Fall Österreichs sind das 2.000 Menschen. Die Slowakei, Ungarn, Tschechien und Rumänien haben gegen den Plan gestimmt. Mit Ausnahme der Slowakei haben aber diese Länder schon deutlich gemacht, dass sie sich an die neuen Regeln halten werden. Wer das nicht tut, dem droht ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission. (András Szigetvari aus Brüssel, 24.9.2015)