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Bei Krebsdiagnosen galt die Biopsie als ultimative Methode. In Zeiten der molekularen Typisierung von Tumoren gilt sie aber nicht mehr als aussagekräftig genug.

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Wien – Bevor Krebs eindeutig diagnostiziert wird, muss eine Reihe von Untersuchungen gemacht werden. Bei soliden Tumoren sind es Biopsien. Man sticht in einen Tumor hinein, holt Gewebe heraus und prüft im Labor, ob es sich um einen bösartigen Tumor handelt. "Wir wissen aber, dass Tumoren sehr unterschiedliche Zellverbände in sich vereinen und eine Biopsie deshalb nur einen kleinen Ausschnitt zeigt", sagt Luis Diaz, Onkologe an der Johns Hopkins Universität in Baltimore/USA. Pankreaskarzinome seien das beste Beispiel dafür.

Deshalb hätten die Forscher fieberhaft nach präziseren Methoden der Tumortypisierung gesucht. Das Ergebnis ist die sogenannte "Liquid Biopsy", bei der nicht mehr nur das Gewebe, sondern auch das umgebende Blutplasma unter die Lupe genommen wird.

Plasma ist quasi überall im Körper vorhanden, auch rund um Tumoren. Da jede Zelle, auch Tumorzellen, Stoffwechselprodukte ins Plasma absondern, kann eine genauere genetische Typisierung Aufschluss über die biologische Zusammensetzung geben – besser als bei einer Biopsie, so die Idee. Die Analyse der Exosome, so der Name der Zellstoffwechselprodukte, würde dann über die Therapie entscheiden.

Vorsprung haben

Dass "Liquid Biopsy" keine Zukunftsmusik ist, beweisen zum Beispiel zwei große Pharmafirmen: Bei Merck werden Dickdarmkrebszellen mit RAS-Mutation aufgespürt. Roche wiederum fokussiert Lungenkarzinome mit EGFR-Mutationen. Die Idee hinter beiden Testverfahren: durch die biologische Typisierung ihre genau auf diese Mutation abzielenden Medikamente einsetzen zu können.

"Bei Lungenkrebs können wir Rückfälle im Plasma 200 Tage früher als mit bildgebenden Verfahren erkennen", sagt Biomarker-Spezialist Garret Hampton vom Roche-Forschungsinstitut gRed stolz. Dementsprechend schneller kann mit einer zielgerichteten Behandlung begonnen werden. Trotz Hightech-Methoden hat sich nämlich eines nicht verändert: Je früher ein Tumor bzw. ein Rückfall erkannt wird, umso besser lässt er sich eindämmen.

Als einen zeitlichen Vorsprung bezeichnet auch Diaz die neue Diagnostikmethode und schlägt den Bogen zur Immuntherapie. Da Tumorzellen das körpereigene Abwehrsystem sehr früh lahmlegen und dadurch den Krebszellen Zeit geben, sich auszubreiten, könnte eine frühe Diagnose über Blutplasma eine Möglichkeit sein, früher als bisher möglich gegenzusteuern.

"Molekulare Information alleine ist nichts wert"

Herbert Geiler von Merck Österreich sieht zwei Anwendungsbereiche: "Liquid Biopsy als Verlaufskontrolle einer Therapie oder als Entscheidung, ob die Anwendung eines Medikaments sinnvoll ist." Bei Merck setzt man auf Letzteres. Durch die Bestimmung von RAS-Biomarkern hätte man bei metastasiertem Dickdarmkrebs deshalb Erfolge zu verzeichnen, weil sich daraus eine konkrete Therapieempfehlung ableitet, man also weiß, bei welchen Patienten eine zielgerichtete Therapie signifikant lebensverlängernd wirken wird bzw. bei welchen Patienten ein Medikament wirkungslos ist. Doch, so die Krebsspezialisten einhellig: Man stünde im Bereich der "digitalen Genomik" erst am Anfang. "Die molekulare Information alleine ist nichts wert, wir müssen parallel auch zunehmend Behandlungsoptionen anbieten, sonst wäre unser Wissen rein akademisch", sagt Garret Hampton.

In den nächsten Jahren wird es darum gehen, herauszufinden, warum Patienten mit zuvor diagnostizieren Markern nicht auf Medikamente ansprechen, nur so können wir unser Wissen über die Dynamik in der Krebsentwicklung erweitern.

Resistenzen verstehen

Eines der großen Probleme ist, so wie in der zielgerichteten Antikörpertherapie, die Entstehung von Resistenzen gegenüber Medikamenten. Mittel, die in den ersten Wochen das Tumorgeschehen eindämmen, werden mit der Zeit wirkungslos. "Wir müssen unsere Medikamente auf diese Entwicklung anpassen und spezifischer machen", sagt Hampton und vergleicht es mit dem Zusammenstellen eines riesigen Werkzeugkastens, "mit dem wir alle bekannten und unbekannten Eventualitäten im Tumor erfassen können".

Wird das Analysieren des Blutplasmas in absehbarer Zeit also die Biopsie ablösen? Daran glauben die Forscher einstweilen noch nicht. Man befände sich erst am Beginn einer Übergangsphase. Sie sehen die Liquid Biopsy als ein ergänzendes Verfahren.

Ein großes Problem für die Forschung sei stets, wenn bei Biopsien nicht genügend Gewebe entnommen wird und damit den Wissenschaftern nicht als Referenzmaterial zur Verfügung steht. Hinsichtlich einer Typisierung und Einordnung bestimmter Tumortypen ist das nämlich entscheidend. Denn langfristig geht es darum, eine neue Systematik für Krebs zu finden. Unter Umständen, wagt Dietmar Bogner, medizinische Leiter der Medikamentenentwicklung bei Roche, die Prognose, könnten Patienten nach molekularen Parametern behandelt werden – und nicht wie bisher nach der histologischen Diagnose.

Medizin in Transformation

Diese Entwicklungen wiederum bedeutet aber auch eine Revolution, wenn es um klinische Studien geht. So könnte es sein, dass Patienten mit verschiedenen Formen von Krebs eines Tages mit der gleichen Therapie behandelt werden.

Doch das ist einstweilen Zukunftsmusik. Erst einmal müssen Erfahrungen gesammelt werden. Mutationen, Pathways, Krebsprogression, Resistenzen und Metastasierung: Krebs ist ein komplexes Geschehen, Liquid Biopsy ein neuer Ansatz, um gegenzusteuern – auf molekularer und zeitlicher Ebene. (Karin Pollack, 30.9.2015)