Die britische Band New Order veröffentlicht nach zehn Jahren Pause ein neues Album. Es heißt "Music Complete" und ist vor allem schön anzuschauen.

Foto: Nick Wilson / Mute Rec.
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Wien – Das Artwork lässt Fans bereits speicheln. Hausmarke. Typisch Peter Saville. Der ist Grafiker und hat legendäre Plattencover gestaltet. Für Joy Division, Brian Eno und David Byrne, Roxy Music, Pulp und viele andere. Und New Order. Saville war Hausdesigner des Labels Factory, des früheren Verlags von New Order. Für ihr heute erscheinendes Album "Music Complete" hat er die Verpackung entworfen. Edler Minimalismus, der sich in den verschiedenen Editionen des Albums in all seiner Schönheit offenbart.

Zehn Jahre lang waren New Order weg. Gut, live haben sie sehr wohl gespielt, und sie haben Peter Hook gefeuert, ihren Bassisten, der seit den Tagen von Joy Division dabei war. Aus dieser Band ist New Order hervorgegangen, 1980, nach dem Freitod ihres charismatischen Sängers Ian Curtis. Aber seit zehn Jahren haben sie kein Album veröffentlicht. Stimmt wieder nicht ganz. Vor zwei Jahren erschien "Lost Sirens". Eine Sammlung aus Resten des 2005er-Albums "Waiting For The Sirens' Call". Und es sprach für die Klasse von New Order, dass diese Sammlung aus dem Mistkübel besser war als die damals veröffentlichten Titel.

New Order mussten sich nach Curtis' Tod neu erfinden. Musikalisch waren Joy Divison ohnehin am Gefrierpunkt der verlorenen Seelen angekommen. Trauriger ging es kaum mehr, schon gar nicht ohne Curtis' prägenden Gesang. Also änderten die Hinterbliebenen die Richtung und orientierten sich an Dancefloor. Zuerst trugen sie noch Trauer, wateten knietief in Melancholie. Und die hat die Band aus Manchester nie verloren. Selbst als sie nach dem Welthit "Blue Monday" und einer Reihe anderer Hits in ihrem Club Hacienda Acid-Partys schmissen, perforierte immer etwas Wehmut ihre Stücke. Wie ein Hinweis darauf, dass Eskapismus natürlich nur eine Scheinflucht ist.

Meisterwerke in Serie

Dabei fielen in schöner Regelmäßigkeit Meisterwerke ab. Bis zu "Technique" (1989) war eigentlich alles großartig. Sogar das für die Fußball-WM 1990 geschriebene "World in Motion" ging noch durch, "Republic" (1993) zeigte erstmals Schwächen, doch "Get Ready" (2001) und "Waiting For The Sirens' Call" kamen früheren Großtaten nicht nahe, wiewohl beide Alben Lieder aufwiesen, bei denen den Fans das Herz aufging, Halleluja.

Damit wäre "Music Complete" ebenfalls beschrieben. Vom ersten Moment an dreht sich die Discokugel, und stellenweise zitiert sich die Band selbst: Das Intro zu "Singularity" beschwört den Beginn des Joy-Division-Songs "Transmission", lässt eine Minute lang die drückende Schwere von Joy Division auferstehen, um dann doch ins Stroboskoplicht zu tauchen.

Das liest sich vielleicht gut, ist aber so absehbar, dass es letztlich enttäuscht. Ästhetisch liegt "Music Complete" in der Nähe von "Technique". Damit formulierte New Order ein zentrales Statement der Madchester-Bewegung, die Rock- und Tanzmusik miteinander verschmolzen hat. Ungesunde Zeiten, aber fröhlich. Heute ist das kalter Kaffee. Da kann ein für New Order typischer Basslauf noch so sehr nostalgische Gefühle stimulieren, diese Tage sind ebenso vorbei wie die Zeit bahnbrechender neuer Trends.

Zeit für blöde Ideen

Die Urgesteine Bernard Sumner, Stephen Morris und dessen wieder zurückgekehrte Frau Gillian Gilbert verwalten ihr Erbe halbwegs stilsicher. Aber sie übertreiben es. Das Album dauert mit über einer Stunde Laufzeit definitiv zu lang. Viel Zeit für blöde Ideen, etwa ein Lied mit dem Sänger der Killers aufzunehmen, Brandon Flowers. Wie zur Strafe klingt das Resultat "Superheated" nach Kajagoogoo, da hätte man gleich bei Limahl als Sänger anfragen können. Andernorts erhebt Popsternchen La Roux ihr Stimmchen, ohne besonderen Eindruck zu hinterlassen, durch "Stray Dog" grundelt Iggy Pop im Sprechgesang – na ja –, und "Tutti Frutti" klingt nach Frankie Goes To Hollywood in der Oldiedisco von Bibione.

Daneben gibt es aber Lieder wie "Nothing But A Fool" oder "Plastic", die die alte Güte der Band aufblitzen lassen. Erschienen ist das Album bei Mute Records, einem der wichtigsten Labels für elektronische Musik seit 35 Jahren. Eine Paarung, die perfekt hätte sein können, doch das Hochzeitsgeschenk schwächelt doch mehr, als es überzeugt.

Das Ansehen von New Order wird "Music Complete" nicht schmälern, ihren Ruhm aber nicht vergrößern. Dazu ist es zu beliebig, erfreut sich in der Rezeption aber des Umstandes, dass elektronische Musik per se die Aura des Modernismus umweht, auch wenn sie schon längst müffelt. Siehe: Techno. "Music Complete" – nicht mehr als ein weiteres Exponat fürs Popmuseum, angestaubt, aber hübsch anzusehen. (Karl Fluch, 24.9.2015)