Dieselgate hat gerade noch gefehlt. Schon bevor die Manipulation von Abgaswerten in den USA aufgeflogen ist, hat die Umweltschutzlobby dem Kraftstoff den Kampf angesagt. Hohe Stickstoffemissionen und die Feinstaubbelastung sind längst unumstrittene Verursacher von Krebs und Atemwegserkrankungen bzw. erhöhten Ozonwerten. Die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Diesel gehört zur Standardforderung von Grünen und anderen NGOs, manche wie die Deutsche Umwelthilfe wollen gar Fahrverbote – zumindest in Ballungsräumen – durchgesetzt wissen. Die EU-Kommission ist dem nicht abgeneigt.
Die Hersteller loben angesichts der Bedrohungen die eigenen Umweltfortschritte, die sie erzielt hätten. Mit Partikelfiltern, Katalysatoren und Harnstoffeinspritzung habe man die Emissionsproblematik deutlich entschärft, tönt es aus den Autohochburgen. Die Konsumenten glauben das offenbar: Bei den europäischen Pkw-Neuzulassungen erhöhte sich der Anteil der auf ein Verfahren von Rudolf Diesel zurückgehenden Motoren in den letzten fünf Jahren von knapp 41 auf gut 48 Prozent. In Österreich waren es 2014 gar rund 57 Prozent.
Steuerprivileg
Wie in vielen europäischen Ländern wird auch hierzulande Diesel geringer besteuert als Benzin. Vor allem Transport- und Landwirtschaft drängten schon vor Jahrzehnten erfolgreich auf billigere Treibstoffe für ihre Nutzfahrzeuge. Die fixen Sätze bei der Mineralölsteuer betragen 39,7 Cent für Diesel und 48,2 Cent für Benzin.
Für viele Steuerexperten ist das Dieselprivileg heute nicht mehr begründbar. Die Autoindustrie konnte 2011 mit politischem Rückenwind vor allem aus Deutschland schon einmal eine von der EU-Kommission geplante Richtlinie abwehren, wonach der Steuersatz für Treibstoffe an deren Energiegehalt gemessen werden sollte.
Tanktourismus
Zudem befeuert Österreich mit niedriger Dieselbesteuerung den Tanktourismus und verschafft sich damit Mehreinnahmen im Budget. Im EU-Preisvergleich liegt Österreich deutlich unter dem Durchschnitt – bei Benzin aktuell um rund 20 Cent, bei Diesel um zwölf Cent. Der Verbrauchsanteil von Diesel liegt in Österreich insgesamt (Pkw und Lkw) bei 80 Prozent.
Ökologische Motive für die Begünstigung von Diesel sind schwer auszumachen. Schon lange vor dem VW-Patzer wurden massive Abweichungen des Stickoxid-Ausstoßes von den Angaben der Hersteller nachgewiesen und immer wieder angeprangert. Der Grund: Die Abgase werden unter speziellen Testbedingungen gemessen, die den Autobauern zahlreiche Schlupflöcher bieten und laut Kritikern realitätsfremd sind. Kriterien für Höchstgeschwindigkeit, Außentemperatur oder Beschleunigung lassen die Marken im aktuellen "Europäischen Fahrzyklus" besser abschneiden, als es bei üblicher Nutzung des Pkws der Fall wäre.
Das 14-Fache der Norm
Der deutsche Autofahrerklub ADAC hat heuer nachgewiesen, dass von 32 getesteten Diesel-Pkws 22 durchfallen, wenn man sich an strengeren Teststandards orientiert, die künftig gelten sollen. Die gemessenen Stickoxide waren im Schnitt doppelt so hoch wie der erlaubte Grenzwert und erreichten im Extremfall mehr als das 14-Fache der Norm.
Wenn die Motoren durch eine Software auf dem Prüfstand auch noch manipuliert werden, wird die Emissionsbegrenzung überhaupt zur Farce. Bei den im Vergleich zu den USA weniger strengen europäischen Tests ist das aber gar nicht nötig. Hier reichen bei der Typengenehmigung für neue Automodelle schon legale Optimierungsmaßnahmen, um die Vorgaben einzuhalten. Ob dennoch auch in Europa Machenschaften wie in den USA im Spiel waren, bleibt vorerst offen.
Auf dem Rollenprüfstand
In Österreich ist unter anderem das Umweltbundesamt für die Kontrolle zuständig. Dieses führt im Verbund mit Messstellen in anderen europäischen Staaten sogenannte "Feldüberwachungsprogramme" durch. Die getesteten Fahrzeuge – nicht alle erhältlichen Modelle, aber die gängigsten – holt man sich vorwiegend bei Autoverleihern. Die Autos werden dann auf einem sogenannten Rollenprüfstand getestet: 20 bis 30 Minuten dauert ein Fahrzyklus, bei einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h.
"Würden Manipulationen wie die in den USA bekannt gewordenen in Europa auftreten, würden wir sie erkennen", meint Günther Lichtblau, Verkehrsexperte im Umweltbundesamt. Die von den US-Prüfern festgestellten Tricks hätten schließlich eine Grenzwertüberschreitung um fast das 40-Fache zur Folge gehabt. Um solche Werte zu erreichen, müsste schon die gesamte Filtertechnik beim Test weggeschalten werden. Das wäre hierzulande nicht verborgen geblieben, ist Lichtblau überzeugt.
Sammelklagen angekündigt
Konkrete Schritte in Richtung unabhängiger Nachprüfungen von unter Manipulationsverdacht stehenden Modellen sind vorerst nicht in Sicht. Die Politik verweist auf das Vorhaben der EU-Kommission, neue Fahrzeugtypen in Zukunft nicht mehr unter Labor-, sondern unter Realbedingungen zu testen, also auf der Straße. In den USA ist das längst Praxis, die entsprechende EU-Verordnung soll 2017 stehen.
Die Grünen und auch Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP) forderten zuletzt ein Vorziehen. Das zuständige Verkehrsministerium begnügt sich damit, dass die ursprünglich erst für 2020 im Raum stehende Einführung bereits beschleunigt wurde. Konsumentenschutzminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) will zur Causa Volkswagen gar nichts sagen.
Messstellen, Umweltverbände und andere Experten konstatieren jedenfalls seit Jahren: Die Technologie für tatsächlich "sauberen" Diesel sei vorhanden. Es fehlten nur die Vorschriften, die Hersteller zur Anwendung selbiger zu zwingen.
Genehmigung wackelt
Davon haben die betroffenen Konsumenten derzeit allerdings nichts – die meisten VW-Kunden plagen ganz andere Sorgen: Das beginnt schon einmal damit, dass eine erschwindelte Typengenehmigung eines Pkws ungültig ist. "Das ist nichts anderes, als wenn der akademische Grad mithilfe einer Plagiatsarbeit erworben wurde", meint Stefan Mann, Jurist beim Autofahrerklub ARBÖ.
Manch Autofahrer kutschiert somit wohl mit einem nicht genehmigten Pkw herum. Allzu große Sorgen braucht er sich deshalb aber nicht zu machen, werden derartige Verfehlungen doch in der Regel durch eine nachträgliche Typengenehmigung korrigiert.
Gewährleistungsanspruch
Das ist aber nicht die einzige spannende Frage für Verbraucher. Anwälte und Konsumentenschützer thematisieren längst, ob Gewährleistungs-, Produkthaftungs- oder Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können oder eine Irrtumsanfechtung möglich ist. Sammelklagen wurden bereits angekündigt, u. a. auch eine des Vereins für Konsumenteninformation.
Die Fragen sind diffizil. Ein Schaden dürfte in der Regel nicht entstanden sein, meinen Experten von ÖAMTC und ARBÖ im Unterschied zum VKI. Dessen Rechtsleiter Peter Kolba argumentiert seine Haltung mit der irreführenden Werbung, wegen der man mehr Geld für ein ökologisches Auto auf den Tisch gelegt habe. Zudem sei der Wiederverkaufswert seit Auffliegen des VW-Skandals gesunken.
Gewährleistung wiederum ist auf zwei Jahre befristet (bei gebrauchten Gütern meist ein Jahr): Wenn Ansprüche berechtigt sind, stellt sich die Frage, ob die Mängel behoben werden können. Wenn nicht, kommt eine Wandlung (Rückabwicklung des Kaufs) ins Spiel. Die Gewährleistung trifft übrigens den Händler, nicht den Hersteller. Bei Produkthaftungsansprüchen wäre VW direkt in der Ziehung.
Probleme bei NoVA
Schwierigkeiten könnten Kunden mit der Finanz bekommen, die wegen der tatsächlich höheren CO2-Werte des Pkws eine Nachzahlung auf die Normverbrauchsabgabe (NoVA) vorschreiben könnte. Allerdings würde in diesem Fall wohl VW mit den Finanzämtern eine pauschale Abgeltung vereinbaren, sagt ARBÖ-Jurist Mann.
Ein Grund, warum Diesel in Österreich eine derart starke politische Rückendeckung genießt, dürfte in der Potenz der heimischen Automobilindustrie liegen. Bei dieser Antriebsform sind österreichische Zulieferer dick im Geschäft. AVL beispielsweise entwickelt in Graz mit rund 3200 Mitarbeitern Motoren und Prüfsysteme. Mit VW unterhält man beste Beziehungen. Auch wenn das der diskrete Konzern nicht bestätigt: Die von Ingenieur Hans List gegründete AVL gilt als Erfinder des VW-Turbodieselmotors TDI.
Starke Industrie
BMW wiederum entwickelt in Steyr sämtliche Dieselmotoren des Konzerns und baut dort jährlich mit 4000 Mitarbeitern mehr als 700.000 Stück zusammen. Der weltweit führende Autozulieferer Bosch, der eine starke Stellung bei Dieselmotoren hat und die Technik für die VW-Abgasnachbehandlung liefert, ist in Österreich mit 2800 Mitarbeitern ebenfalls massiv engagiert. Dazu kommen unzählige kleinere Hersteller und Entwickler. Insgesamt sind in Österreich 175.000 Jobs direkt oder indirekt von der Autoindustrie abhängig. Da drückt man bei Abgaswerten und Besteuerung schon einmal ein Auge zu. (Simon Moser, Andreas Schnauder, 26.9.2015)