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Flüchtlinge in Nickelsdorf, die meisten wollen nach Deutschland. Aber was geschieht, wenn einmal in Österreich nicht – wie für heuer prognostiziert – 80.000, sondern 250.000 Menschen Asyl wollen?

foto: apa/oczeret

Wien – Das Papier ist drei Seiten lang und trägt den Briefkopf der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Innenministerium. Seit es Mitte der Woche in Bayern auftauchte, wohin es auf dem polizeilichen Dienstweg geschickt worden war, sorgt es für mediale Aufregung. Auch die FPÖ thematisierte es am Donnerstag im Nationalrat, bei der von ihr beantragten Sondersitzung "Österreich im Ausnahmezustand – sichere Grenzen statt Asylchaos",

Grund für die Erregung sind die getroffenen Schlussfolgerungen über die Folgen massiven Flüchtlingsandrangs auf Österreich. Es bestehe "Gefahr der (sic!) Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung", von "interethnischen und interreligiösen Konflikten unter Migranten" samt "faktischer Außerkraftsetzung der gesetzlichen Strukturen" heißt es da.

250.000 Asylanträge?

Das seien Feststellungen, die man auf Grundlage eines "Worst-Case-Szenarios" getroffen habe, meint dazu ein Innenministeriumssprecher: "Also was passiert, wenn sich alle vier Millionen Flüchtlinge aus der Region um Syrien auf den Weg machen und es bei uns jährlich nicht, wie heuer vermutet, 80.000, sondern 250.000 Asylanträge gibt."

Nun steht diese Erklärung in Widerspruch zu dem Titel des Dokuments, der "Sonderberichterstattung und Analyse der derzeitigen Migrationslage" (Hervorhebung durch die Redaktion, Anm.) lautet. Dieser Titel beziehe sich nur auf die ersten zwei Seiten des Papiers, in denen die Lage in den Herkunfts-, Durchreise- und Zielländern der jetzt ankommenden Flüchtlinge geschildert und beurteilt wird, beteuert der Ministeriumssprecher. Das keineswegs für die Öffentlichkeit bestimmte Dokument stamme aus dem Workshop einer Arbeitsgruppe auf mittlerer Sachbearbeiter- und Referentenebene von vor einer Woche, "wie es dutzende gebe".

"Vielleicht in Zeitnot"

Dort sei zuerst der Stand der Dinge zusammengefasst worden – wobei man offenbar aus allgemein zugänglichen Internetquellen des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR schöpfte, wie dort nach Papierdurchsicht bestätigt wird. Dann habe man – "vielleicht in Zeitnot" – Stichworte im Sinne des Worst-Case-Szenarios zu Papier gebracht. Das, so der Ministeriumssprecher, gelte es jetzt, der Öffentlichkeit zu erklären.

Konkret haben an besagtem Treffen Mitarbeiter von zwei Innenministeriums- und zwei Bundeskriminalamtsabteilungen teilgenommen, außerdem Mitarbeiter des Operativen Zentrums für Ausgleichsmaßnahmen (OZ-AGM) laut Schengenabkommen sowie des Stadtpolizeikommandos Schwechat. Derlei Arbeitsgruppen gebe es bei Polizei und Sicherheitsbehörden tatsächlich eine ganze Reihe, bestätigt der Kriminalsoziologe und Sicherheitsexperte Reinhard Kreissl im Gespräch mit dem Standard.

Polizeilicher "Tunnelblick"

Durchaus üblich sei im Polizeibereich auch, Worst-Case-Szenarien durchzuspielen. Der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler, halte viel von solch "durchaus vernünftigen" Bemühungen. Dabei, so Kreissl, gelte es aber, die "Gefahr eines Tunnelblicks von Sicherheitskräften" abzuwenden. In dem umstrittenen Papier mit seinen martialischen Bedrohungsbildern sei das offenbar nicht gelungen.

Unterdessen scheint manches der im Dokument geschilderten Szenarien, etwa polizeiliche "Personalknappheit", schon derzeit nicht ganz von der Hand zu weisen sein. Nicht zuletzt deswegen hat die Regierung am 14. September 2015 beschlossen, der Exekutive bis zu 2200 Soldaten zur Assistenz bereitzustellen.

Heeres-Szenarien

Ob auch im Verteidigungsministerium schon über mögliche Folgen einer weiteren Vertiefung der Flüchtlingskrise gebrütet wird? "Natürlich planen auch wir routinemäßig verschiedene Szenarien durch, die sich mit einem höheren Personalaufwand oder einer längeren Dauer des Assistenzeinsatzes auseinandersetzen", heißt es dort dazu nur. (Irene Brickner, Nina Weißensteiner, 25.9.2015)