Weg, so richtig weg war er nur kurz. Vor rund drei Jahren, im Sommer 2012, hat sich Christian Konrad in den Ruhestand verabschiedet; "in die Ausnahm'", wie es der geborene Weinviertler mit Faible fürs offene Wort selbst ausdrücken würde.

Dass Konrad nach 18 Jahren an der Spitze des Raiffeisen-Verbands, den er als Generalanwalt mit strenger Hand führte, nach mehr als 40 Jahren im Raiffeisensektor so einfach von der Bühne verschwinden würde, wollte kaum wer glauben. Doch eine Zeitlang war er weg, so richtig weg. Der begeisterte Jäger und frühere niederösterreichische Landesjägermeister (sein beruflicher Ziehsohn, Exvizekanzler Josef Pröll von der ÖVP, hat das Amt nun inne), ging mehr auf die Pirsch, verbrachte mehr Zeit mit seiner Familie (Frau, zwei Töchter, vier Enkel), mehr Zeit in seinem Haus auf der kroatischen Insel Brac, mit seinen sozialen Engagements.

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Bis 2012 hat er Banken, Zeitungsverlage, Versicherer, Zuckerfabriken, Mühlen und einen Teil der Politik kontrolliert. Jetzt soll er die Lage von Flüchtlingen verbessern: Pensionist Christian Konrad.
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Ein paar Aufsichtsratsposten, jenen im Kurier, bei Do & Co und Leipnik-Lundenburger, hat er behalten. In diesem landwirtschaftlichen Mischkonzern hat Konrad den "jungen" Pröll nach dessen Ausscheiden aus der Politik 2011 als Chef untergebracht.

Alter Pröll und junger Pröll, Onkel und Neffe, niederösterreichischer Landeshauptmann mit Präsidentschaftsneigung, Exfinanzminister und Exvizekanzler: Die beiden spielen eine wichtige Rolle im Leben des Christian Konrad. Haben ihm mit ihrer Entwicklung seine Grenzen aufgezeigt – und das ist selten im Leben Konrads.

Im Leben eines Mannes, der in seinen besten Zeiten bis zu 86 Funktionen innehatte (gleichzeitig). Ein Klacks also die Aufsichtsratsmandate, die er nach seinem Abgang behalten hat – aber immerhin ein Anker aus regelmäßig wiederkehrenden Verpflichtungen, der den heute 72-Jährigen in der Aktualität der österreichischen Wirtschaftswelt festhielt.

"Österreich hilfsbereit"

Aber seit Ende August ist sowieso alles wie früher. Christian Konrad rotiert. Und, vor allem: Christian Konrad lässt rotieren.

Diesmal als Flüchtlingskoordinator der Regierung, der er ab 1. Oktober auch offiziell sein wird. Gekleidet wird das Ganze in den Verein "Österreich hilfsbereit", dessen Obmann Konrad sein wird, flankiert von Generalsekretär Ferdinand "Ferry" Maier. Er und Konrad: ein altes Strategieteam. Ex-ÖVP-Parlamentarier Maier war bis 2014 Generalsekretär des Raiffeisen-Verbandes und die rechte Hand Konrads.

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Foto: STANDARD/APA/Wenzekl

Seine Aufgabe als Flüchtlingskoordinator beschrieb Konrad in der Raiffeisen-Zeitung so: das Aufnahmezentrum Traiskirchen entlasten, 35.000 Winterquartiere schaffen für 85.000 Leute, Gespräche mit Landeshauptleuten, Politikern, NGOs führen und "Missverständnisse aufklären". Wie er das anstellen will? Jäger Konrad: "Meine Überzeugungskraft ist meine Hauptwaffe." Wer Konrad kennt, weiß: Das ist eine freundliche Drohung.

Seinen neuen Sozialarbeiterjob verdankt Konrad der Überforderung der Regierenden mit der Unterbringung der Flüchtlinge. Die Weigerung der Landeshauptleute und Bürgermeister, Quartiere bereitzustellen, das Chaos in Traiskirchen, zigtausende in Österreich gestrandete Flüchtlinge: In den späten Augusttagen und angesichts der Wahlen in Oberösterreich und Wien säte jemand die Idee in die Regierung, dass da ein Koordinator nottue. Einer mit guten Kontakten, Autorität und Hang zu sozialem Engagement. Wenig später war das Pflänzlein aufgegangen, waren roter Kanzler und schwarzer Vizekanzler handelseins. Reinhold Mitterlehner unterbreitete Konrad namens der Regierung das Anbot zur Flüchtlingskoordination. Der nahm an und kehrte flugs von Brac nach Wien zurück.

Seither ist Konrad wieder täglich in seinem Büro weit oben im Raiffeisen-Hochhaus am Wiener Donaukanal zu finden. Seither rotiert er wieder, seither vor allem lässt er wieder rotieren.

Expansion des grünen Riesen

Nichts anderes hat der Exchef von Raiffeisen mit seinen (bis zu) 1600 Genossenschaften, 200.000 Mitarbeitern und rund 500 Beteiligungen inklusive der größten Bankengruppe Österreichs in der Vergangenheit getan. Nach seinem Jusstudium 1969 war Konrad, ältester Sohn einer Lehrerin und eines Landwirtschaftskammerfunktionärs, zu Raiffeisen gegangen. Wurde 1990 Obmann der beteiligungsreichen Raiffeisenholding NÖ-Wien, war 1994 als Generalanwalt an der Spitze der größten Genossenschaftsgruppe Österreichs angelangt.

Und die wuchs und wuchs. Ob Lagerhäuser und Raiffeisenkassen auf dem flachen Land, ob Raiffeisenbanken von Wien bis ans ostasiatische Spitzl Russlands Kamtschatka ("interessantes Jagdgebiet", so Konrad einst), ob Zuckerfabriken der Agrana, Versicherungskonzern Uniqa oder Beteiligungen am Baukonzern Strabag, an Kurier, Krone, News, Profil, Trend: Der "grüne Riese", "das Giebelkreuz", die bäuerliche "Genossenschaft für Menschen" (Konrad in der Krone) wurde zu einem der bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren Österreichs.

Wachsen ließ es der "barock-hemdsärmelige" (SN) Konrad im Einvernehmen mit den übrigen Entscheidern. Von seinem beinah leeren Schreibtisch aus (Konrad liebt Ordnung) und per Telefon dirigierte der Konzert- und Opernfan die Seinen. Und knüpfte ein wasserdichtes Beziehungsnetz, das in die höchsten Ebenen und letzten Winkel der Republik reicht, ob Schwarz oder Rot.

"Der Konrad", wie er sich selbst gern nennt, wenn er über den Konrad spricht, kennt alle – und alle kennen Konrad. Am eindrücklichsten bewies er das alljährlich als Gastgeber beim Sauschädelessen rund um den Dreikönigstag: Konrad rief, die Republik kam. Und verspeiste gekochte Schweinsohren.

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Josef Pühringer und Christian Konrad im September in Linz.
Foto: APA/FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUMMAYR

Macht? Mit Macht habe all das nicht zu tun, pflegte Konrad unverdrossen zu erklären. Erst anlässlich seines Pensionsantritts räumte er in einem STANDARD-Interview ein, dass Macht der hat, dem man sie zuschreibt: "Ich habe ein gewisses Maß an Autorität. Man folgt mir auch, wenn ich nichts anschaffen kann."

Freiwillige Unterwerfung quasi, aus der Überlegung heraus, dass man einem wie Konrad nicht nur einmal im Leben begegnet. Dass man ihn zwar vielleicht nicht als Freund haben mag (er würde sowieso darauf hinweisen, dass er sich Freunde selbst aussucht) -, aber noch weniger als Feind. Denn: Konrad merkt sich alles.

Dicht- und zusammenhalten

So passt auch trefflich ins Bild, dass im System Raiffeisen Zusammen- und Dichthalten das elfte Gebot wurde. Wer einmal etabliert ist, fliegt kaum wieder hinaus. Außer er treibt es gar zu bunt und desavouiert so Raiffeisen und seine Granden. Bestes Beispiel: Ex-ORF-Chefin Monika Lindner. Nach ihrem Abgang vom Staatsfunk 2006 rettete sie Jagdfreund Konrad mit einem wohldotierten Posten bei Raiffeisens Epamedia. Seit ihren paar Tagen als Parlamentsabgeordnete (zunächst) für das Team Stronach 2013 ist es mit Konrads Gunst vorbei.

Omnipräsenz, Strenge, Geschick und eine Wirtschaftslage, die rasante Expansion erlaubte, waren die wichtigsten Ingredienzien für Konrads Aufstieg. Beim Abschwung, etwa der Sanierung der Uniqa oder der Raiffeisen Bank International, war er schon in Pension.

Eingebremst wurde er selten. Am nachhaltigsten 1997, bei der Privatisierung der Creditanstalt (CA). Nach zwei Terminen mit Finanzminister Ferdinand Lacina (SPÖ) und Staatssekretär Johannes Ditz (ÖVP) war Konrads Traum geplatzt. Die "monetäre Visitenkarte Österreichs" (Hannes Androsch) ging nicht "an die Bauern", wie man ätzte, sondern die rote Bank Austria.

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Foto: APAAPA/Schlager

Ein wenig erodiert ist Konrads Macht auch in der Bankenkrise 2008. Als die Institute mit Staatsgeld versorgt werden sollten, polterte er, das werde "nur über meine Leiche" geschehen – also: sicher nicht. Doch die Raiffeisen Zentralbank (RZB) holte 1,75 Milliarden Euro, Konrad überlebte.

Allerdings setzten sich die Banker in der Politik mit ihren Bedingungen für die Kapitalzufuhr durch: Mitspracherecht bekam die Republik nicht. RZB-Aufsichtsratschef Konrad damals zu einem Notenbanker: "Von dir lass' ich mich nicht verstaatlichen." Zur Erinnerung: Ab Dezember 2008 war Pröll jun. Finanzminister. Dass er die Hypo Alpe Adria 2009 verstaatlichte, kam dem Raiffeisensektor extrem zugute. Eine Pleite hätte drei seiner Hypo-Beteiligungen kippen lassen.

Womit man wieder bei den beiden Prölls und Konrads Grenzen wäre. Denn den Jungen hätte Konrad gern als Kanzler gesehen, doch das hat nicht geklappt. Prölls Gesundheit, wird man nicht müde zu betonen, stand dagegen.

Der Versuch, "Sepp" hinaufzuhieven, kostete Konrad (fast) seine über 40-jährige Freundschaft mit Erwin P. Dessen damals geplante Bundespräsidentschaftskandidatur unterstützte Konrad nicht, zwei Prölls in derart hohen Ämtern wären einer zu viel, argumentierte er sinngemäß. Pröll sen. war stinksauer. Dass der Raiffeisen-Boss zur Versöhnung nach St. Pölten pilgern musste und nicht Pröll nach Wien, zeigt, wer gewann. Das "Überparteiliche Personenkomitee zur Unterstützung des Landeshauptmanns von Niederösterreich" präsidiert übrigens Konrad.

Sozialarbeiter Konrad

Der fügte seinen Machtzirkeln immer mehr Kreise hinzu: Wissenschaft (Konrad war Präsident der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft), Kultur (Konrad ist etwa Präsident der Freunde der Albertina und des Konzerthauses) und Soziales. Konrad bzw. Raiffeisen unterstützt Pater Georg Sporschills Straßenkinder-Hilfe und das Wiener Obdachlosenprojekt Gruft. Als sein Parteifreund Innenminister Ernst Strasser Asylwerber auf die Straße setzte, sprang Konrad, der im Urlaub gern Yoga macht, behände ein und brachte 200 Leute im Wiener Kurier-Haus unter. Spätestens da war das Verhältnis Konrad-Strasser zerrüttet. Zuvor hatte Raiffeisen noch ein Kreuz für den frisch renovierten Altar im Innenministerium gestiftet, und angeblich den (teuren) Schreibtisch des Ministers.

Ex-Raiffeisenboss Christian Konrad im Obdachlosenquartier Gruft, Caritas-Präsident Michael Landau (li.) und Schauspieler Josef Hader.

In der Öffentlichkeit zelebriert wurde das Engagement Konrads für die Basilika Mariazell. Toute Autriche war bei den Spendenwanderungen dabei. Dass die von Stammgästen als "Cocktailfeier im Freien" empfunden wurden, war Konrad egal. "Ich bin kein Missionar", erklärte er im Falter, "ich sammle nur die Spenden."

Nun sammelt Konrad freie Unterkünfte. Sein Netzwerk nützt er dafür "hemmungslos aus", berichtet ein Sozialarbeiter. Der Chef des Fonds Soziales Wien und Flüchtlingskoordinator der Stadt, Peter Hacker, beobachtet Ähnliches. Konrad, den er vorher persönlich nicht gekannt habe, sei "superrasch und unkompliziert". Auf der Suche nach Quartiergebern aus der Wirtschaft "ruft er ohne Umweg gleich beim Generaldirektor" an – mit Erfolg. "Und", glaubt Hacker, "er meint dieses Engagement ernst."

Mag sein, dass Konrad, der mitleidslos Furcht und Schrecken verbreitet hat, jetzt ein wenig gegensteuern will. Mag sein, dass ihm in der Ausnahm' ein bisserl fad war, ihm die Tastatur der Macht ein wenig abgegangen ist. Das ist nun jedenfalls vorbei.

Jetzt rotiert er wieder und lässt rotieren. Auch daheim, in Wien-Landstraße. Dort hat er eine dreiköpfige Flüchtlingsfamilie aus Syrien aufgenommen. (Renate Graber, 25.9.2015)