Wie bestellt und nicht abgeholt wirkt das Häuflein von Tagesgästen, das geduldig am Gate fünf auf das Einchecken wartet. Das moderne Abfertigungsterminal in Bremerhaven ist ausgelegt für mehrere Tausend Passagiere – an diesem Vormittag sind es ganze 55, die an Bord der MS Delphin wollen.

Unter Beobachtung von gleich vier Polizisten kontrollieren Security-Mitarbeiter Personen und Gepäck, überprüfen Ausweise, Pässe und Buchungsbestätigungen. Die strengen internationalen Sicherheitsvorschriften machen ein solches Prozedere erforderlich, simuliert wird hier nichts. Auch wenn in den Papieren als "Reiseroute" steht: Besichtigung. Verständlich, dass Kreuzfahrtreedereien diesen Aufwand scheuen, um Kurzbesuche zu ermöglichen.

"Nur schauen" – das wollen Tagesgäste auf Kreuzfahrtschiffen, ohne den Hafen zu verlassen.
Foto: Wikimedia Commons/Kalle Id [CC;BY-SA;3.0]

Rund 150.000 Österreicher werden im Jahr 2015 sowieso eine Kreuzfahrt unternehmen, so viele wie noch nie, Tendenz weiter steigend. Da werden zwar Kontingente an Reisebüros oder Stammkunden vergeben, ansonsten halten sich viele Reedereien bei reinen Besichtigungen zurück. Mit dem Sicherheitsargument lässt sich auch Exklusivität wahren. Wer möchte nicht einmal hautnah das Innenleben eines luxuriösen Ocean-Liner wie der Queen Mary erkunden? In dem einschlägigen Kreuzfahrt-Blog Cunard gibt sich die noble Reederei knapp: "Wir werden immer wieder gefragt, aber aus Sicherheitsgründen dürfen nur Kreuzfahrtgäste und Crew an Bord."

Besuchszeit endet pünktlich

Die Tagesgäste der MS Delphin haben 20 Euro für die Stippvisite gezahlt und trudeln jetzt im plüschigen Grand Salon ein, mit riesigen Spiegeln an der Decke und einer Bühne, auf der unter anderen schon Jürgen Drews zur "Partynacht" auftrat. Spaßvögel fragen, wann endlich abgelegt würde und wohin die Reise ginge. Doch die Kreuzfahrtdirektorin Uta Elsner macht in ihrer Begrüßung bald klar, dass um 14 Uhr die Besuchszeit endet – eine Stunde später würden die "echten" Passagiere erwartet, und um 18 Uhr lege das Schiff mit Ziel Portsmouth ab. Die Auslaufmelodie "What A Wonderful World" bekommen Schnuppergäste nicht mehr zu hören.

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Immer mehr Reedereien bieten Kurzbesuche an, um neue Kunden zu gewinnen.
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Bei Sekt, Orangensaft und Chips werden der Decksplan sowie der weitere Ablauf des Rundgangs erläutert. Die MS Delphin ist mit 157 Metern Länge eher ein kleines Schiff, verlaufen kann sich also niemand. Überdies markieren bunte Luftballons die neun Besichtigungskabinen aller Kategorien, die ausschließlich für diesen Zweck hergerichtet wurden.

Anstoßen auf das Schiff

Die Kreuzfahrtdirektorin stößt mit ihren Gästen "auf dieses schöne Schiff" an, hebt die Vorzüge dessen "familiärer" Größe hervor, schwärmt von den "schönen Kabinen", einer "hochmotivierten Crew" und "wundervollem Essen". Vielleicht würden in den nächsten zwei Stunden ja "Reiseträume geweckt", so der werbende Wunsch. 1.200 Interessierte hätten allein im letzten Jahr das Schiff auf diese Weise kennen- und vielleicht schätzen gelernt.

Andere Kreuzfahrtanbieter sehen oder sahen solche Besichtigungen eher kritisch. So heißt es bei Tui Cruises ("Mein Schiff"): "Am An- und Abreisetag sagen wir rund 2.000 Gästen ,Auf Wiedersehen' und genauso vielen Gästen 'Herzlich willkommen'. An Bord unserer Schiffe wird das gesamte Servicepersonal für die Ein- und Ausschiffung so vieler Gäste benötigt." Costa-Kreuzfahrten bot Besichtigungen früher nur für Mitarbeiter von Reiseagenturen an, unter dem Slogan: "Live erlebt verkauft sich besser!" Mittlerweile gibt es aber auch dort einige Besuchstermine pro Jahr für jeden.

Foto: Wikimedia Commons/Hans Oleander [CC;BY-SA;3.0]

Für Ariane Trettin, die als Reiseleiterin seit 15 Jahren auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs ist, teilen sich die Besucher in zwei Gruppen: Die eine Hälfte wolle nur einmal ein "Traumschiff" von innen gesehen haben. Die andere hätte tatsächlich Interesse an einer Kreuzfahrt und würde sich sehr genau erkundigen.

Alles abfotografiert

Höhepunkt des Kurzaufenthaltes auf der MS Delphin ist das Mittagsmenü, zu dem pünktlich um 12 Uhr geladen wird. Für die meisten haben sich spätestens dann die 20 Euro gerechnet, wohl auch für das Pärchen, das statt des gewünschten Pinot Grigio "nur" einen Landwein bekommen hat. Zufrieden zeigt sich auch eine ältere Dame, die nach zweieinhalb Stunden "wirklich alles abfotografiert" hat – für ihren Mann, der leider nicht dabei sein konnte.

Die meisten Reedereien geben mittlerweile auf ihren Online-Portalen an, ob und wann sie Besichtigungen anbieten. (Bernd Ellerbrock, 29.9.2015)