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Typ 1 Diabetes soll früher erkannt und behandelt werden.

Foto: AP Photo/Joerg Sarbach

München – Gemeinsam mit JDRF (Juvenile Diabetes Research Foundation) empfehlen führende Diabetesexperten, die bisherige Klassifikation und den Diagnosezeitpunkt von Typ 1 Diabetes zu verändern: Die Autoimmunerkrankung beginnt nach neueren Erkenntnissen lange, bevor sie sich in Symptomen äußert.

Deshalb haben die Forscher in der neuesten Ausgabe von "Diabetes Care" ein Drei-Stadien-Modell skizziert, mit dem sich Typ 1 Diabetes frühzeitig diagnostizieren lässt. Betroffene können mit Hilfe von Autoantikörper-Tests erfahren, ob sie an einem Prädiabetes erkrankt sind und möglicherweise an einer Präventionsstudie teilnehmen können.

Diabetes zeichnet sich vor Ausbruch ab

"Wir wissen, dass Typ 1 Diabetes lange vor dem Zeitpunkt entsteht, wenn die Zuführung von Insulin unabdingbar wird. Die beste Zeit, um das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten, dürfte die Zeit vor dem Verlust der Insulin produzierenden Betazellen im Pankreas sein", sagt Richard Insel, Studienleiter der JDRF.

Ein Jahrzehnt an Forschungen und Screenings von Risikopersonen für Typ 1 Diabetes hätten beigetragen, dass Wissenschaftler die Entstehung und frühen Stadien der Erkrankung besser verstehen können. Der neue Ansatz mit dem diagnostischen Drei-Phasen-Modell soll helfen, das Design klinischer Studien zur Prävention zu optimieren. "Dies könnte die Entwicklung von Medikamenten und letztendlich die Prävention von Typ 1 Diabetes beschleunigen", sagt Insel.

In der klinischen Praxis wird Typ 1 Diabetes heute in der Regel erst diagnostiziert, wenn sich Symptome wie übermäßiger Durst (Polydipsie), häufiges Wasserlassen (Polyurie), starke Gewichtsabnahme oder Müdigkeit bemerkbar machen. Bei jedem dritten Krankheitsfall wird die Diagnose sogar erst gestellt, wenn der Patient als Notfall mit einer Ketoazidose (Stoffwechselentgleisung) ins Krankenhaus eingeliefert wird.

Das müsste nicht sein: Jetzt haben die internationalen Wissenschaftler in einer Übersichtsarbeit drei Stadien des Typ 1 Diabetes klassifiziert, beginnend mit zwei Vorstadien, in denen sich die Autoimmunerkrankung bereits Jahre – oder zumindest Monate – vor Auftreten der ersten Symptome diagnostizieren lässt.

Die drei Stadien

Im ersten Vorstadium sind zwei oder mehr Inselautoantikörper nachweisbar, welche für Typ 1 Diabetes spezifisch sind. Meist beginnt der Autoimmunprozess mit Autoantikörpern gegen das Insulin (IAA). In dieser Prädiabetes-Phase liegen die Blutzuckerwerte im Normbereich. Treten die ersten Autoantikörper bereits in jungem Lebensalter auf, liegen mehrere von ihnen vor oder kommen sie in einer höheren Konzentration vor ist mit einem schnellen Fortschreiten des Autoimmunprozesses hin zum Typ 1 Diabetes zu rechnen.

Im zweiten Stadium ist der Autoimmunprozess auf Grund der zunehmenden Zerstörung der insulinbildenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sich neben den Inselautoantikörpern eine Glukoseintoleranz oder eine Dysglykämie (Störung des Glukosestoffwechsels) messen lassen.

Die Erkrankung bricht schließlich im dritten Stadium aus: Typische klinische Symptome treten auf. Die Einteilung in diese drei Stadien befürworten alle großen Diabetesforschungs-Institutionen, darunter die American Diabetes Association und The Endocrine Society.

Umweltfaktoren im Verdacht

Die Forschung kennt rund 50 Genvarianten, die einen Typ 1 Diabetes begünstigen. Allerdings haben 85 Prozent von 150.000 Individuen, bei denen ein Typ 1 Diabetes frisch diagnostiziert wurde, keinen Diabetesfall in der Verwandtschaft. Denn auch verschiedene Umweltfaktoren fördern den Krankheitsausbruch. Im Verdacht stehen eine Geburt per Kaiserschnitt, verschiedene Virusinfektionen, die Zusammensetzung der Darmflora und eine Antibiotika-Einnahme.

Was nützt das Wissen um einen symptomfreien Prädiabetes? Studienteilnehmer, bei denen vorab eine Vorstufe des Typ 1 Diabetes nachgewiesen wurde und die unter medizinischer Kontrolle standen, hatten nachweislich bei Auftreten der ersten Symptome seltener Stoffwechselentgleisungen und wiesen zum Diagnosezeitpunkt einen besseren Blutzuckerwert auf. Der Diabetes ließ sich besser einstellen, weshalb sie seltener oder kürzer im Krankenhaus betreut werden mussten als diejenigen Patienten, bei denen die Erkrankung vollkommen überraschend eintrat.

Mehr Möglichkeiten zur Prävention

Da die Insulinbehandlung bei den Studienteilnehmern frühzeitig aufgenommen werden konnte, mussten in den ersten zwölf Monaten der Therapie geringere Mengen an Insulin verabreicht werden. "Diese Vorteile werden in Zukunft noch um präventive Behandlungsoptionen ergänzt werden", sagt Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin des Instituts für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München.

Ihre Forschergruppe prüft derzeit in mehreren Studien die Effektivität einer Schutzimpfung mit Insulin. Die neue Klassifizierung nach drei Stadien erleichtert es, Personen mit einem Prä-Typ 1 Diabetes frühzeitig zu bestimmen, die am meisten von einer Schutzimpfung profitieren würden. Ihnen soll die Teilnahme an einer Präventionsstudie offenstehen. (red, 28.9.2015)