Die neue Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen beinhaltet die sogenannten Nachhaltigkeitsziele ("Sustainable Development Goals", kurz: SDGs). Die Agenda überwindet die Trennung zwischen Entwicklungs- und Klimapolitik und enthält soziale, wirtschaftliche und ökologische Elemente. Im Gegensatz zu ihrem Vorgängerprogramm, den Millenniumszielen (MDGs), gelten die SDGs nicht nur für den globalen Süden, sondern für die ganze Welt. Damit tragen alle Staaten Verantwortung für die Umsetzung.
Revolutionär ist der starke Fokus auf benachteiligte Menschen. Für Menschen mit Behinderungen, von denen 80 Prozent in armen Weltregionen leben, bedeuten die neuen Ziele die Hoffnung auf Chancengleichheit und Inklusion. Im Vergleich zu den MDGs, in denen Menschen mit Behinderungen völlig unsichtbar waren und in der Folge vom Großteil der Entwicklungsprogramme ausgeschlossen wurden, ist es eine Revolution, dass Behinderung in den SDGs elf Mal explizit genannt wird. Bemerkenswert ist auch, wie die Agenda erarbeitet wurde: Noch nie zuvor gab es einen derart großangelegten, partizipativen Verhandlungsprozess.
Defizite und offene Fragen
Dennoch gibt es auch Defizite und offene Fragen. So ist vor allem die geringe Verbindlichkeit problematisch. Die UN-Mitgliedstaaten geben zwar lautstark ihr Bekenntnis zur Umsetzung der Ziele ab und versprechen weitreichende Veränderungen. Nicht ausgesprochen wird aber, dass im Fall der Nicht- oder nur Teilumsetzung keine Konsequenzen drohen.
Eine Gefahr ist, dass sich die Staaten nur einzelne Ziele herauspicken, wodurch das Gesamtprojekt geschwächt würde. Mit den Zielen soll ein wirklicher Wandel in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in Richtung Nachhaltigkeit, Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit bewirkt werden. Solange aber nicht alle Staaten an einem Strang ziehen und Einzelinteressen weiterhin Vorrang haben, scheint ein wirklicher Wandel in weiter Ferne.
Der Weg vom Papier in die Praxis wird nur gelingen, wenn die richtigen Schritte gesetzt werden:
- Die Staaten müssen ihre Verantwortung und ihr Bekenntnis zur neuen Agenda ernst nehmen, andernfalls bleibt es bei schönen Worten.
- Partizipation ist auf allen Etappen des Weges das Gebot der Stunde. Die Zivilgesellschaft und vor allem benachteiligte Gruppen wie Menschen mit Behinderungen müssen die Umsetzung der Ziele auf allen Ebenen mitgestalten. Sonst droht bereits am Weg zum Ziel das große Scheitern.
- Die Umsetzungsprogramme müssen laufend auf ihre Wirksamkeit hin kontrolliert werden. Für die Wirkungsmessung braucht es aussagekräftige Daten, die auch Aufschluss über soziale Kategorien wie Behinderung, Alter oder soziale Herkunft geben.
- Schließlich ist eine ausreichende Finanzierung und die Unterstützung ärmerer Regionen durch den privilegierten Norden notwendig. Das Versprechen der Geberstaaten, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen, wurde im Rahmen der Agenda zwar erneuert, als neue Frist zur Erreichung dieses Ziels gilt nun das Jahr 2030. Angesichts globaler Entwicklungen wie der derzeitigen Flüchtlingssituation ist aber klar, dass es hier umgehend verlässliche Programme braucht.
Der Teufel steckt im Detail
Für Menschen mit Behinderung geben die konkreten Verweise auf Behinderung etwa in den Zielen zu Bildung, Arbeit und gegen Ungleichheit Hoffnung auf ein Ende des Kreislaufs von Armut, Behinderung und Diskriminierung. Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail: Ausgerechnet in den Zielen zu Armut, Frauengleichstellung und Gesundheit wird Behinderung nicht erwähnt. Inklusion muss jedoch in allen SDG-Programmen eingefordert werden. Am Wochenende wurde uns der Wegweiser für die gemeinsame Reise ins Jahr 2030 in die Hand gegeben. Es wird sich zeigen, ob das Reiseziel auch erreicht wird und vor allem – getreu dem SDG-Motto "leave no one behind" – niemand auf dem Weg zurückbleibt. (Magdalena Kern, 28.9.2015)