Die Bilder der Hilfsbereitschaft aus Wien und ganz Österreich sind begeisternd und stimulierend zugleich, wie auch die ungezählten Projekte auf dem Balkan, in Deutschland oder Schweden. Und wir sollten nicht jene vergessen, die überall auf der Welt den Flüchtenden das Gefühl vermitteln, dass diese nicht nur willkommen sind, sondern einen Beitrag zur Überwindung der Herausforderungen leisten, die in überalternden Gesellschaften bislang unlösbar schienen.

Angesichts dieser Welle der Menschlichkeit beginnen gleichzeitig auch viele der Verantwortlichen in der Politik umzudenken und Stereotype aus der Vergangenheit infrage zu stellen. Die Koalition der Vernunft gegen rechts-extreme Tendenzen wächst Tag für Tag. Die Zeiten, in denen Ausländer überwiegend als Kriminelle und Sozialschmarotzer stigmatisiert wurden, würden dann wirklich bald der Vergangenheit angehören – denn alle Statistiken sprechen eine klare Sprache: Flüchtlinge sind insbesondere ökonomisch, aber auch sozial und kulturell ein Segen für beide Länder – das Land, das ihnen eine neue Heimat bietet, als auch jenes, das sie verlassen. Insbesondere Europa benötigt beide, die vermeintlich ungelernten Arbeitskräfte wie auch die Ausgebildeten.

Die veränderte Wahrnehmung dieser Chancen ist erfreulich, aber aufgrund der auch in den kommenden Jahren anhaltenden Zahl an Migranten benötigt die Welt ein grundlegenderes Verständnis der damit verbundenen Herausforderungen. Aufgrund meiner eigenen Erfahrung mit den Flüchtlingsdramen infolge des Vietnamkrieges nach 1975 möchte ich sieben Vorschläge machen:

1) Flüchtlinge haben ein Recht auf Aufnahme – aber es besteht kein Recht auf Auswahl des Landes, das ihnen in Zukunft eine Heimat bietet. Europa ist nicht die einzige Option für diejenigen, die derzeit Syrien oder andere Länder verlassen müssen, weil ihr Leben dort bedroht ist.

2) Die jüngst beschlossenen Zentralstellen sollten nicht allein in Italien oder Griechenland aufgebaut werden, sondern sind ebenso notwendig in der Türkei oder Tunesien. Selbst Libyen sollte in Erwägung gezogen werden, sobald sich dort die Lage beruhigt hat. Die Experten von UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind gerne bereit, bei Aufbau und Management dieser Zentren zu helfen. Die Finanzierung sollte jedoch alle Länder einschließen und sich nicht allein auf Europa reduzieren – so wie dies nach dem Vietnamkrieg angesichts der Boatpeople ebenfalls eine Selbstverständlichkeit war.

3) Wir benötigen eine generelle Verständigung auf die Grundprinzipien der Rechte aller Flüchlinge, ihres Status inklusive der Verpflichtung, dass diese Rechte nur für die Dauer des Notstands in ihrem Heimatland gelten.

4) Befristetes Aufstocken der Kapazitäten in Krisenzeiten, damit das derzeitige Elend im Mittelmeer ein sofortiges Ende findet und vergleichbaren Krisen in Zukunft schneller begegnet werden kann.

5) Effizientes Vorgehen gegen Schlepper – es leuchtet mir nicht ein, dass die gemeinsame Intelligenz unserer Geheimdienste uns nicht in die Lage versetzt, diesen Straftaten schneller ein Ende zu setzen.

6) Eine globale Informationsoffensive, die auf allen Kontinenten jedem die Grundlagen, Chancen und Risiken verdeutlicht, die für Asylwerber und Migranten gelten.

7) Qualifizierung der Darstellung von Flüchtlingen und Migranten

Wenn wir diese sieben Punkte transparent und professionell umsetzen, bin ich überzeugt, dass wir alle – sowohl in den Ländern, die derzeit den Neuankommenden eine Perspektive bieten, als auch in den Ländern, die zunächst einmal den Verlust ihrer Bürger zu beklagen haben – zur Erkenntnis kommen, dass unterm Strich die aktuellen Herausforderungen zu den wenigen gehören, die sich mit einem Win-win-Resultat beenden lassen.

Dies wird nicht kurzfristig gelingen. Aber wenn wir jetzt zumindest nicht länger Zeit verstreichen lassen in der Verständigung auf die Diagnose, dass die bestehenden Definitionen von Asylwerbern und Migranten nicht neu formuliert werden müssen, dann können wir all unsere Energie und Kompetenz im Finden von Lösungen konzentrieren. Das würde aus meiner Sicht auch den Gedanken einschließen, sich das bislang eher getrennt und im Hier und Jetzt operierende UNHCR einerseits und die IOM andererseits in Zukunft so vorzustellen, dass sie auf jeden Fall stärker als ehedem gemeinsam denken, agieren und vor allem bei der Entwicklung langfristiger Lösungen einbezogen werden. Auch das wieder von beiden: den Herkunfts- wie auch den Empfängerländern.

Warum ist das wichtig – jenseits der unmittelbar humanitären Verpflichtung? Die dieser Tage in New York von den Mitgliedsländern der UN beschlossenen "Sustainable Development Goals" versuchen eine Lösung für eine weitere Herausforderung zu finden: die Folgen des Klimawandels. Wenn wir dies weiter auf die lange Bank schieben, riskieren wir, dass demnächst ganze Kontinente sich auf der Flucht befinden. (Michael Moller, 28.9.2015)