Im engen Tunnel voran: Als FBI-Agentin Kate verkörpert Emily Blunt eine alternative Sicht auf die Auseinandersetzung zwischen ihren Fahnderkollegen und dem Drogenkartell.


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Lionsgate Movies

Wien – Von oben betrachtet, sieht alles übersichtlich aus. Die Luftaufnahmen suggerieren, dass es eine Ordnung gibt, mit sauberen Trennlinien, die ein Territorium vom anderen abgrenzen. Aber diese Bilder sind abstrakt und trügerisch. Der Drogenhandel zwischen den USA und Mexiko findet seine Wege, egal wie hoch der Stacheldrahtzaun zwischen den beiden Ländern ist. Versteckte Routen bleiben in der Vogelperspektive unsichtbar, unten auf der Erde gelingt weder der Überblick noch die Abgrenzung so einfach.

Das wirkt sich auch auf die Moral der Drogenfahnder aus, von denen der kanadische Regisseur Denis Villeneuve in Sicario erzählt, seinem zweiten US-Film nach dem Entführungsdrama Prisoners. In einer frühen, packenden Szene fährt ein Konvoi über die Grenze, um den führenden Kopf eines Drogenkartells zu überführen. Auf der Rückfahrt bleiben die schwerbewaffneten Polizisten mit ihren SUVs im Grenzverkehr stecken. In jedem Wagen könnte ein Feind sitzen. Die Situation eskaliert am Ende wie in einer modernen Variante eines Westerns.

Mit dieser Szene führt Villeneuve auch widerstreitende Arbeitsmethoden vor. Die beiden Männer Matt (Josh Brolin) und Alejandro (Benicio del Toro), in deren Team die FBI-Agentin Kate (Emily Blunt) aufgerückt ist, spielen mit ungewöhnlichen Karten. Nationale Souveränität sind sie zu missachten bereit. Mit Gewalt gehen sie äußerst freizügig um. Sie sehen auch nicht wie Beamten aus. Der eine benimmt sich wie ein abgebrühter Cowboy und trägt Flipflops, der andere zuckt im Schlaf, wirkt jedoch wie im Dämmerzustand, wenn er wach ist – bis er seinen Feinden den Finger tief ins Ohr bohrt.

Mehr als ein Rookie

Kate ist die Identifikationsfigur des Films und zugleich die gelungenste Idee von Drehbuchautor Taylor Sheridan. Von Produzentenseite wurde er lange bedrängt, sie in einen Mann umzuändern. Vollkommen unverständlich, denn erst als Frau wird die Figur zu mehr als einem Rookie, der sich beweisen muss: Kate verkörpert auch eine alternative Sicht auf eine Auseinandersetzung, die so unübersichtlich wie ein Krieg geworden ist.

Es gibt darin nur mehr Wölfe, die um ihr Terrain streiten, sagt Alejandro einmal. Doch die junge Frau kämpft noch um ein Rechtsverständnis, um eine Moral, die an dieser Landesgrenze zum Risiko wird. Schritt für Schritt muss sie erkennen, dass sie allein auf weiter Flur steht. Emily Blunt ist großartig darin, ihre Figur zwischen der nötigen Härte und einem Rest an Verletzlichkeit balancieren zu lassen. Letzteres ist etwas, was den beiden Männern schon vollkommen fehlt.

Der auf das Team und seine inneren Machtspiele ausgerichtete Blick macht Sicario mehr zum Thriller als zum Drogendrama im Stile von Steven Soderberghs Traffic. An dem erbarmungslosen Geschäft interessiert ihn nur der Kampf an der Front. Ein Nebenplot um einen mexikanischen Vater, der als Bote arbeitet, mutet wie ein Fremdkörper an (und wird dementsprechend lieblos behandelt).

Für die entscheidenden Szenen, von denen es im Film nur eine Handvoll gibt, nimmt sich Villeneuve hingegen Zeit. Die Montage ist nicht immer aktionsorientiert, sondern gestattet den Bildern von Kameramann Roger Deakins genügend Raum, sich zu entfalten. Eine gute Entscheidung, denn den Breitwandaufnahmen der kargen Landschaften des Südwestens, der Himmelsverfärbungen und nächtlichen Operationen des Teams verdankt der Film seine Wirkkraft. In einer Tunnelsequenz unterstreichen gleich mehrere Bildtypen effektvoll die räumliche Enge.

Ein anderes wichtiges Mittel, mit dem Villeneuve die bedrohliche Atmosphäre erzeugt, ist Jóhann Jóhannssons Score. Die dunklen, unmelodischen Basstöne, die von perkussivem Peitschen begleitet werden, klingen wie ein gewaltiges Magenknurren, das noch länger im Ohr nachklingt.

Zwischen Gut und Böse

Das fügt sich gut in einen Film, in dem sich die Gewalt mit einer unangenehmen Selbstverständlichkeit vollzieht, allerdings ohne dass man dabei den Eindruck gewinnt, er nutze dies aus. Sicario operiert in vieler Hinsicht selbst an einer Grenze: Zwischen den Vorgaben des Genres und den Möglichkeiten des Autorenfilms lotet er Handlungen aus, für die Kategorien wie Gut und Böse zu wenig Zwischentöne bieten. (Dominik Kamalzadeh, 30.9.2015)