Profi vor der Kamera und im Interview hypnotischer Routinier: Jeff Koons besuchte seine Venus in Wien: "Balloon Venus (Orange)", 2008-12.

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Wien – Wem Jeff Koons in seinem New Yorker Büro einen Kaffee kredenzt, der darf sich an den üppigen Formen der Venus von Willendorf erfreuen: Die Tassen aus dem Naturhistorischen Museum hat Koons sicher bei einem seiner Wien-Besuche mitgenommen: Dort ziert nun (anlässlich des neugeschaffenen Venuskabinetts) bis März seine aufgeblasene Hommage an die Wachauer Dame mit den "Botox-Backen" die Eingangshalle. 2012 war Koons, stichhaltiges Argument für das Fortleben der amerikanischen Pop-Art, etwa im "Koons-historischen" Museum gegenüber zu Gast. Solche Wortspiele erinnern an die potente Stellung des Kitschmeisters am Kunstmarkt, der in den 80er-Jahren gern an der Biologie des Pornösen anstreifte.

STANDARD: Auf die Frage, in welchem Zeitalter Sie gerne gelebt hätten, haben Sie einmal geantwortet: im Paläolithikum. Warum ausgerechnet die Altsteinzeit?

Koons: Das Paläolithikum finde ich spannend, weil es da bereits ein Bewusstsein für etwas gab, das außerhalb von einem selbst liegt: Ein Begehren richtet sich nach außen, heftet sich auf etwas anderes als einen selbst, an die Natur, den Himmel, das All. Allein diese Kräfte und ihr Verhältnis zueinander zu erleben, wäre fantastisch.

STANDARD: Was faszinierte Sie an der Venus von Willendorf?

Koons: Wir kennen die genaue Funktion der Venus von Willendorf zwar nicht; wir nehmen an, sie sei ein rituelles Objekt, der Fruchtbarkeit gewidmet. Schönheit hat etwas mit Hingabe zu tun, sich selbst in Etwas verlieren. Und im Fall der Venus von Willendorf ist dies etwas jenseits des Selbst. Ein Konzept, größer als das Selbst. Ich war immer hingezogen zur Venus, weil sie einerseits extrem weiblich ist mit ihrer Üppigkeit. Andererseits ist auch Maskulines dabei. Dieser maskuline Aspekt könnte das Historische, das Konzept von Geschichte selbst sein. Maskulin ist auch ihre Kahlköpfigkeit. Meine Balloon Venus vereint ebenfalls männlich und weiblich. Mit den großen Brüsten, dem dicken Bauch wirkt sie sehr sinnlich: Sie könnte schwanger sein. Aber die Brüste können plötzlich auch zu Hoden werden, der Bauch zum Phallus. Sie könnte sich in sich selbst zurückziehen und sich mit sich selbst fortpflanzen.

1985 beschäftigte ich mich das erste Mal mit der Venus von Willendorf. Aqualung heißt die Bronzeskulptur, nach einer aufblasbaren Schwimmweste mit Sauerstofftank am Rücken. Sie wirkte sehr männlich, aber zur gleichen Zeit auch sinnlich wegen der luftgefüllten Weste.

STANDARD: Sie reizt die Gleichzeitigkeit von männlich und weiblich?

Koons: Die höchste Schönheit ist es, wenn man sexuelle Polaritäten vereint, das ist das Ideal. Was schön daran ist, dass niemand sich befremdet fühlt, niemand ausgeschlossen wird.Frauen wie Männer können am Dialog teilnehmen. Schönheit involviert immer etwas, was Diskriminierung beseitigt: Balance, Harmonie.

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STANDARD: Tatsächlich "absorbiert" die Arbeit durch den Spiegeleffekt Gesichter der Umgebung.

Koons: Jeder, der die Arbeit anschaut, wird bestätigt. So realisiert man, dass es um Spiegelungen geht. Das meistgebrauchte Wort der Philosophie ist Reflexion. So realisiert man: es geht um Metaphysik.

STANDARD: Ihre Venus war 2012 im Frankfurter Liebighaus ausgestellt, neben einem Kopf des Apoll. Was war die Idee dieses Tête-à-Têtes?

Koons: Apollos Kopf ist auch so ein Objekt, das sich selbst transformiert: Wann immer Apollo Musik spielte, wurde er weiblich. Und so vollzieht er die gleiche Transformation wie die "Balloon Venus".

STANDARD: Sie haben über Ihre Serie der "Inflatables" gesagt, Ballons wären eine Metapher auf menschliches Leben. Inwiefern?

Koons: Wenn wir einatmen, ist das ein Symbol für Optimismus: Wir sind gefüllt mit Sauerstoff, haben Energie. Umgekehrt, denken Sie an den "letzten Atemzug", steht Ausatmen für den Tod. Die Ballonobjekte aus Metall erhalten die optimistische Präsenz aufrecht.

STANDARD: Im Diskurs über Ihre Arbeit geht es oft um Marktpreise. Beeinflusst das Ihre Arbeit?

Koons: Nein. Es ist eine Abstraktion, ein Bereich, der außerhalb meiner selbst liegt und von der Gesellschaft auf mich zurückreflektiert wird. In meiner Serie Luxury and Degradation (1986) ging es um die Gefahr dabei, dem Luxus hinterherzurennen. Alles war aus rostfreiem Stahl, ein artifizieller Luxus, ein proletarisches Material. Man hätte es einschmelzen, daraus Pfannen und Töpfe machen können. Ich habe den Leuten mit dieser Serie nahegelegt, dass sie lernen sollen, ihre politische und ökonomische Kraft zu bewahren, anstatt Luxus anzustreben. Ich habe keinen Sportwagen. Es gibt gewisse Dinge, die ich mir leiste. Manchmal nehme ich einen Helikopter um zu meiner Farm zu gelangen, aber ich lebe nicht die luxuriöse Art von Leben. In meiner Arbeit ging es um einen Dialog zur Akzeptanz, das sich Befreien von Urteilen, um Unvoreingenommenheit. Das ist überhaupt die Grundlage meiner Arbeit: Niemand braucht Vorwissen, um zu erleben, dass die Kunst in dir drinnen ist, um ein Gefühl für das eigene Potenzial zu haben. Du brauchst kein Objekt dafür, du brauchst dafür nur Selbsterfahrung und -akzeptanz.

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STANDARD: Hatten Sie nie das Bedürfnis, etwas Unerwartetes zu machen? Dem Markt nicht zu geben, was er will?

Koons: Ich gebe dem Markt nicht, was er will. Sonst würde ich mich immer selbst wiederholen. Ich mache, was ich machen will. Nur weil ich Erfolg habe, heißt das nicht, dass ich den Markt bediene. Hat Picasso den Markt bedient? Glaube ich nicht. Er ist als Künstler besser und besser geworden. Sein Spätwerk hatte die höchste Transzendenz, er hatte den höchsten Bewusstseinszustand erlangt. Und Leonardo da Vinci, hat er den Markt bedient? Michelangelo? Cézanne? Nicht sie haben den Markt verfolgt – der Markt hat sie verfolgt. Er ist eine Abstraktion. Du machst, was du willst, und wie die Außenwelt damit umgeht, ist etwas anderes. Ich glaube, erfolgreiche Künstler, die die Gesellschaft für wertvoll hielt, die gesammelt wurden, hatten durchwegs ökonomischen Erfolg.Gerhard Richter zum Beispiel. Das kann man nicht aus der Welt reden. Aber das ist etwas anderes als mein Wunsch zu partizipieren, mit den Künstlern der Avantgarde in Dialog zu treten. Solche Verbindungen einzugehen, etwa mit Rosenquist, Warhol, etwas weiter zurück mit Manet, Goya, Velàzquez und vielleicht mit dem antiken Bildhauer Praxiteles, gelingt über Referenzen. Man geht durch die Zeit zurück bis zur paläolithischen Zeit, bis zur Venus von Willendorf. Ich will teilhaben, genieße das intellektuelle Wachstum.

STANDARD: Eine hypothetische Frage: Angenommen, der Kapitalismus ist mausetot – muss Jeff Koons dann seine Ästhetik völlig neu erfinden?

Koons: Das mache ich jeden Tag. Man hat nur limitierte Ressourcen, und Menschen verlangen deine Leistung: So muss man immer überdenken, was man macht. Ich habe eine gewaltige Plattform um Dinge zu realisieren und auszustellen, das ist mir bewusst und ich bin dankbar dafür. Ich bin dankbar, meine Arbeit jetzt gerade hier im Naturhistorischen Museum zu haben und eine andere in Florenz. Ich muss mich zwicken. Mein äußerstes Potenzial habe ich noch nicht ausgeschöpft. Das möchte ich erreichen. Ich möchte Transzendenz und Erleuchtung erleben. Jeden Tag denke ich darüber nach, aus Platons Höhle hinauszuspazieren. Ich will diese Freiheit. Diese Freiheit "ausüben", um zu einem noch größeren Verständnis von Freiheit zu gelangen.

STANDARD: Im Schloss von Versailles wussten Ihre Arbeiten durchaus zu provozieren.

Koons: Das Schöne war, dass Versailles immer offen war für Leben, Kunst, Politik – alles. Jeder war stets in den Palast eingeladen, die neuesten und aufregendsten Dinge wurden absorbiert, mit ihnen wurde interagiert. So konnten meine Werke nicht nur mit den politischen, sondern auch mit den dekorativen Künsten in Dialog treten. Das war aufregend. Und wer weiß, vielleicht wäre ich einst ein Hofkünstler gewesen? Und wenn nicht in Versailles, dann in Wien. (Anne Katrin Feßler, Roman Gerold, 30.9.2015)