Rücker: "Ich bin keine Schachfigur." Den Linzer Freunden rät sie von einer Koalition mit ÖVP und SPÖ ab. Rot-Grün in Wien sieht sie rosiger.

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Graz – Für viele kommt es ziemlich überraschend: Die Grazer Grünen-Stadträtin Lisa Rücker zieht sich aus der Politik zurück. Sie wird nicht mehr als Spitzenkandidatin für die Gemeinderatswahl 2017 zur Verfügung stehen. Auch einen Listenplatz weiter hinten sowie Funktionen auf Bundes- oder Landesebene schließt sie aus, so Rücker im Gespräch mit dem STANDARD am Mittwochnachmittag.

Persönlich und politisch

"Es ist eine sehr persönliche und politische Entscheidung", verriet die Politikerin, die in Graz für das Kultur-, Gesundheits- und Umweltressort zuständig ist. Nach 15 Jahren in der Stadtpolitik habe sie lange darüber nachgedacht und sei sich nun sicher: "Ich will in ein neues Leben gehen. Ich habe mit Herz und Leidenschaft mitgemischt und habe auf hoher Flamme gekocht. Ich möchte nicht als Ausgebrannte gehen, sondern auf der Höhe meiner Kraft."

Es ist ein Abschied auf Raten, denn Rücker will noch bis zum Ende der aktuellen Periode weitermachen. Vor allem der Kulturszene sei ein weiterer Wechsel des Ansprechpartners vor der Zeit "nicht zumutbar", meint sie.

Rücker ist in der Graz spätestens seit 2008, als sie bei der Wahl die Mandate ihrer Partei verdoppeln konnte und in der Folge Siegfried Nagls (ÖVP) Vizebürgermeisterin wurde, das Gesicht der Grünen. Und sie blieb auch 2012, als Nagl die schwarz-grüne Koalition überraschend aufkündigte, die grüne Galionsfigur. Bei der Wahl nach dem Koalitionsende verloren 2013 beide, die Grünen aber weniger als die ÖVP.

Neuer Parteivorstand nächste Woche

Den Vorstand der Stadtpartei hat Rücker am Dienstagabend informiert. An die Öffentlichkeit wollte sie selbst gehen, denn: "Ich bin keine Schachfigur." Präferenzen, wer ihr Nachfolger werden soll, nennt Rücker nicht. Der Vorstand der Grazer Grünen wird jedenfalls nächsten Mittwoch neu gewählt. Dass sich Nachfolger schwertun, neben einer noch voll aktiven Stadträtin im Wahlkampf das eigene Profil zu schärfen, fürchtet Rücker nicht: "Ich werde an der Übergabe mitarbeiten, das hat bei uns gute Tradition."

Rücker ist diplomierte Sozialarbeiterin und Sozialmanagerin und wurde erstmals in der autonomen Frauenbewegung politisch aktiv. Wie ihre Zukunft konkret aussehen wird, sei "völlig offen" – auch ob sie in Graz bleiben wird: "Es gibt kein Angebot, aber ich habe einen reichen Schatz an Erfahrungen." Von der Politik abhängig sein wolle sie jedenfalls als "autonomer Mensch" nicht. Sie freue sich, dass sie "ein vogelfreier Mensch" sein werde. "2017 bin ich 52, da kann man noch etwas Neues starten", meint die Politikerin und räumt ein: "Ein politischer Mensch werde ich immer bleiben."

"Bin kein Hansdampf in allen Gassen"

Was ihr an der Politik heute nicht mehr gefällt? "Wir leben in einer schnelllebigen, oberflächlichen Zeit. Ich war immer Sachpolitikerin, aber ein gemeinsames Gestalten, ein Über-den-Tellerrand-Schauen, das gibt es in dieser Stadt nicht mehr", sagt Rücker. Und setzt nach: "Vielleicht bin ich nicht mehr der Typ, der in dieses moderne Bild passt, in die ganzen sozialen Netzwerke. Ich bin kein Hansdampf in allen Gassen." Den Parteifreunden in Linz würde sie raten, "lieber prononcierte Oppositionspolitik zu machen", so Rücker, "ich finde es nicht gut, dass sie sofort signalisiert haben, Teil einer Koalition sein zu wollen." Bei den Wienern sei das anders: "Wenn Häupl bei seiner klaren Haltung in der Asylfrage bleibt, kann man es schon noch einmal mit ihm versuchen."

Ihre Familie habe die Entscheidung verstanden. Die ältere Tochter, die heute in Wien lebt, habe ihr zudem eröffnet, dass sie auf einer Bezirksliste für die Grünen in Wien kandidiere. "Da haben wir jetzt wohl eine Art Staffelübergabe gehabt", lacht Rücker. (Colette M. Schmidt, 1.10.2015)