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Der örtliche Polizeichef Mohammad Qasim Jangalbagh nach der Rückeroberung des Zentrums von Kunduz.

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Auch am Donnerstag stieg über Kunduz noch Rauch auf, vereinzelt wurde weiter gekämpft.

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Kabul/Neu-Delhi – Erst die zur Hilfe geeilten Spezialeinheiten brachten die Wende: Nach fast viertägigen Kämpfen haben Regierungstruppen am Donnerstag zumindest das Zentrum von Kunduz und weite Teile der Stadt von den Taliban zurückerobert, während in den Außenbezirken noch gekämpft wurde. Die Taliban sollen sich verschanzt und Straßen vermint haben. Örtliche Behörden sprachen von 50 Toten und über 300 Verletzten unter den Zivilisten seit Montag.

Bereits gegen Morgen hatte die Regierung erklärt, man habe die 300.000-Einwohner-Stadt im Norden des Landes wieder unter Kontrolle. In den Straßen würden die Leichen von etwa 150 getöteten Taliban-Kämpfern liegen – neben Afghanen auch Pakistaner, Araber und Tschetschenen.

Beispielloser Wandel der Taktik

Zwei Jahre nach dem Abzug der deutschen Bundeswehr aus Kunduz hatten die Taliban die Stadt am Montag überrannt. Die Regierungstruppen wurden bei ihrer Gegenoffensive von US-Kampffliegern unterstützt. "Es gab schwere Luftschläge in der Nacht, die die Taliban zur Flucht veranlassten", sagte Bewohner Abdul Qadir Anwari zu Reuters. Die Taliban behaupteten, dass sich auch ausländische Truppen an den Kämpfen am Boden beteiligten. Ein Nato-Team war nach Kunduz geflogen, um – so hieß es – die Regierungstruppen zu beraten.

Auch wenn die Regierung Kunduz nun zurückgewinnt, bleibt die Einnahme der Provinzhauptstadt ein Propagandasieg für die Militanten – und ein Wendepunkt: Der Sturm repräsentiere eine beispiellose Veränderung in der Kriegsführung der Taliban hin zum Städtekampf als neuer Taktik, schreibt Borhan Osman vom Afghanistan Analyst Network (AAN). Es sei unwahrscheinlich, dass die Bürger ihr Vertrauen in Regierung und Militär zurückgewinnen würden.

Regierung will keine Rache

Die Einnahme der Stadt ist auch ein persönlicher Triumph für den neuen Taliban-Chef Mullah Akhtar Mansur. Mit Kunduz hat er seine Autorität gefestigt und nicht nur strategisch, sondern auch politisch das Heft in die Hand genommen. In seltener Deutlichkeit wies er seine Kämpfer an, "das Leben, Eigentum und die Ehre der respektierten Bürger von Kunduz zu schützen". Selbst bisherigen "Feinden" versicherte er, man denke nicht an Rache.

Ob sich die Taliban an die Benimmregeln ihres neuen Chefs halten, ist eine andere Frage. Die Berichte gehen weit auseinander. Sicher scheint, dass Büros von Uno, Hilfsorganisationen, Regierung und Polizei geplündert wurden. Doch die hatte Mansur weniger gemeint. Ihm geht es primär um die Afghanen. So berichtete der Arzt Abdul Ahad verblüfft aus dem zentralen Krankenhaus: "Die Taliban benehmen sich sehr gut, vor allem gegenüber Doktoren. Sie könnten die Herzen gewinnen, wenn sie länger bleiben."

Andere Berichte besagen, dass Taliban Plünderer und Diebe umgehend nach Scharia-Recht aburteilten. Doch es war auch von toten Zivilisten die Rede. Ob diese im Kreuzfeuer umkamen oder von den Militanten aus Rachedurst getötet wurden, blieb zunächst unklar. (Christine Möllhoff, 1.10.2015)