SPÖ, ÖVP, Grüne, Neos und alle anderen können weiterhin über den Aufstieg der FPÖ jammern. Sie wären klüger beraten, sich selbstkritisch zu fragen: Was hat die FPÖ, was wir nicht haben?
Die FPÖ gibt ihren Wählern das Gefühl, endlich gehört zu werden. Bei benachteiligten Gruppen nennt man das Empowerment. Das heißt nicht unbedingt, dass die überwiegende Mehrheit der Blauwählenden benachteiligt ist. Es heißt auch nicht, dass diese Menschen von der FPÖ tatsächlich ermächtigt werden. Aber das Gefühl, nicht gehört zu werden, keine Mitsprache zu haben und nicht ernst genommen zu werden, haben viele. Die FPÖ stilisiert sich als Fürsprecherin der vermeintlich und tatsächlich Abgewatschten. Dass sie, einmal an der Macht, dieses Vertrauen zu enttäuschen droht, steht auf einem anderen Blatt.
Die FPÖ gibt den Menschen das Gefühl, dass sie zu ihnen spricht, nicht über sie. Sie vermittelt klare Werte in einer einfach verständlichen Sprache: Die anderen sind für die Geflüchteten und Zugewanderten da, ich für euch. Dass dieses "Euch" ein Konstrukt ist, dass diese monokulturelle Fantasiegesellschaft nie existiert hat und dass sie schon gar kein Modell ist, auf dem sich eine gemeinsame Zukunft aufbauen lässt, steht auf einem anderen Blatt.
Die FPÖ greift die Angst der Menschen vor Veränderung auf. Denn diese Angst ist da: Wir werden alle immer älter, aber auch immer dementer, und wer uns pflegen wird, weiß niemand. Es gibt immer mehr komplexe bewaffnete Auseinandersetzungen mit unklaren Fronten, und wie sie zu lösen sind, weiß niemand. Klimawandel, Wohnungsnot, Börsenkrach und das verflixte Gefühl, dass alles irgendwie miteinander zusammenhängt – das macht Angst. Strache leitet die Angst um – und verknüpft sie mit einem in der gesamten Gesellschaft tief verwurzelten Rassismus. Das Fatale ist: Er ist der Einzige, der an diese Gefühle appelliert. Dass er zugleich den Wählern kein einziges Angebot macht, um die Angst zu bewältigen, dass er sie sogar verstärkt, steht auf einem anderen Blatt.
Die übrigen Parteien sollten nicht so tun, als sei die Blaufärbung des politischen Horizonts ein Naturgesetz. Sie könnten zumindest versuchen, sie zu verhindern – aber nicht, indem sie den Rassismus der FPÖ kopieren. Sondern indem sie sich an jene Gruppen richten, die sich von niemandem beachtet fühlen – außer eben von der FPÖ. SPÖ und ÖVP sollten nicht in die Falle tappen zu glauben, dass es die Ausgrenzung der FPÖ sei, die diese stark macht. Es ist die Ausgrenzung ihrer Wähler. (Maria Sterkl, 5.10.2015)