Bild nicht mehr verfügbar.

TTIP soll Aufseher aus den EU und der USA kooperieren lassen. Entscheiden wird aber weiterhin jeder für sich selbst, so Bercero.

Foto: Reuters

STANDARD: Wie weit sind die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP mit den USA gediehen, können Sie sagen: Wir sind zu einem Drittel oder zur Hälfte fertig?

Ignacio Garcia Bercero: Ich will keine Prozentsätze nennen. Aber lassen Sie mich einen Einblick in den Ablauf geben. Vereinbart wurde, dass jeder Verhandlungspartner für jedes TTIP-Kapitel seinen Vorschlag auf den Tisch legt. Dann vergleichen wir die Texte und versuchen uns mit den USA auf eine Variante zu einigen. Bei vielen Kapiteln haben beide Seiten ihre Pläne präsentiert. Aber wir verhandeln über mehr als 20 Wirtschaftssektoren. Bei einigen Kapiteln liegen noch keine Vorschläge am Tisch.

STANDARD: Bei welchen?

Bercero: Beim Investitionsschutz. Die EU hat entschieden, zuerst interne Konsultationen abzuhalten, weshalb das strittige Thema seit einem Jahr auf Eis liegt. Diese sind nun vorbei, und wir wollen bis Ende des Jahres die Verhandlungen dazu starten. In neun Sektoren, etwa in der Automobil-, Pharma-, oder Maschinenbauindustrie, führen außerdem nicht Handelsexperten, sondern Regulatoren die Gespräche. Die Aufseher sehen sich an, wo Regeln harmonisiert werden können, zum Beispiel bei Pkw-Zulassungen. Erst wenn es hier konkrete Ergebnisse gibt – und so weit sind wir noch nicht -, werden diese Vorschläge in den TTIP-Text eingearbeitet.

STANDARD: Gibt es schon Kapitel, die fertig sind?

Bercero: Nein. Es gibt welche, wo nur mehr kleine Differenzen bestehen: etwa bei jenem über Klein- und Mittelbetriebe. In den meisten Fällen unterscheiden sich unsere Vorschläge aber signifikant von jenen der USA. Aber beide Seiten wollen rasch vorankommen. Wir glauben, dass wir die Gespräche bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Barack Obama, also bis Ende 2016, abschließen können.

STANDARD: Was sind die heikelsten Themen für die EU-Verhandler?

Bercero: Die höchste Sensibilität liegt im Agrarsektor, bei Fleischprodukten. Ich rede nicht von Chlorhühnern, wo wir immer gesagt haben, dass es diese in Europa nicht geben wird. Aber es gibt Bereiche, in denen die USA wettbewerbsfähiger sind. Deshalb werden wir bei unseren Zugeständnissen an die USA vorsichtig sein. Ja, wir müssen auch hier welche machen, Handelsabkommen sind keine Einbahnstraßen. Aber wir streben eine Lösung wie mit Kanada an. Bis zu einer bestimmten Menge sollen die USA zollfrei Agrarprodukte nach Europa exportieren können, darüber hinaus fallen Zölle an. Bei Rindern und Schweinen wurde genau das mit Kanada vereinbart.

STANDARD: Die größten Gewinne erwartet sich die EU bei Autoexporten. Dabei heben die USA kaum Zölle auf Pkws aus Europa ein. Sind ihre Erwartungen nicht überzogen?

Bercero: Autos sind das perfekte Beispiel dafür, dass für Europa sehr viel davon abhängt, wie weit wir bei der Harmonisierung der Regeln kommen. Für Pkws betragen Importzölle in Europa rund zehn, in den USA nur 2,5 Prozent. Wenn wir nur Zölle abschaffen, ist die Wirkung von TTIP begrenzt. Wobei die US-Zölle in den meisten Sektoren höher sind. Deshalb gehen wir offensiv vor. Wir haben den USA vorgeschlagen, außerhalb des Agrarsektors alle Zölle abzuschaffen, vorausgesetzt, die Vereinigten Staaten tun das auch.

STANDARD: Studien zeigen, dass durch TTIP der Handel mit den USA steigt, der Warenverkehr in der EU aber zurückgeht. Begibt sich Europa nicht in eine gefährliche Abhängigkeit zu den USA?

Bercero: TTIP wird zu einer stärkeren wirtschaftlichen Verflechtung mit den USA führen. Aber das wird nicht die engen Bindungen in der EU schwächen. Wir leben in einer globalisierten Welt, wo es logisch ist, dass die EU-Länder zunehmend Außenhandel mit Ländern außerhalb Europas treiben. Die große internationale Veränderung betrifft in dieser Hinsicht nicht die USA, sondern China, das immer wichtiger wird.

STANDARD: Die EU hat ihre Pläne für reformierte Investitionsgerichte vorgelegt. Die einzige Reaktion aus den USA kam von der Handelskammer, die den Vorschlag ablehnt.

Bercero: Zuerst zu den guten Nachrichten. Im EU-Parlament haben alle wichtigen Fraktionen klargemacht, dass sie den Reformvorschlag der Kommission unterstützen. Dieselben positiven Rückmeldungen erhalten wir von den Regierungen der Mitgliedsländer. Noch haben wir den Amerikanern unseren Vorschlag nicht offiziell übermittelt, die US-Administration wird erst danach Stellung nehmen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt beeindruckt mich diese Kritik also nicht besonders.

STANDARD: Kritiker sagen, selbst wenn man in TTIP eine gute Lösung findet, wird das nicht helfen. Denn US-Firmen könnten für ihre Klagen das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada nutzen.

Bercero: Das Modell, das wir den USA vorschlagen, bringt prozessual fundamentale Verbesserungen. So sind Berufungsverfahren vorgesehen, wenn Konzerne Staaten klagen. Die Streitparteien können die Schiedsrichter auch nicht mehr selbst aussuchen, es wird fix zugeteilte Richter geben. Inhaltlich droht aber auch vom Abkommen mit Kanada keine Gefahr. Das Recht der Länder, Gesetze zu erlassen, etwa für Umweltschutz, wurde auch hier klar fixiert.

STANDARD: In den USA gilt, dass eine chemische Substanz nur verboten werden kann, wenn deren Gefährlichkeit bewiesen ist. Nicht mal Asbest ist verboten. In Europa müssen Firmen belegen, dass Produkte sicher sind. Muss Europa seine Standards aufgeben?

Bercero: Die Regeln in Europa sind hier viel strikter, und weder die USA noch wir Europäer werden unsere unterschiedlichen Positionen aufgeben. Die USA haben dem auch schon zugestimmt, die Ergebnisse im Chemiesektor werden in dieser Hinsicht also sehr bescheiden ausfallen. Trotzdem ist eine engere Kooperation möglich, die Aufseher könnten mehr Informationen austauschen. Darüber wird diskutiert.

STANDARD: Sie planen, ein Aufsichtsgremium zu schaffen, in dem Regulatoren aus der EU und den USA sitzen: Sichern sich die Amerikaner über diesen Weg Einfluss?

Bercero: Jede Entscheidung in der EU wird weiterhin auf Basis der hier geltenden Regeln getroffen werden. Nur weil die USA die Möglichkeit bekommen, ihre Meinung zu sagen und Vorhaben zu kommentieren, bedeutet das doch nicht, dass nicht die zuständigen EU-Behörden entscheiden. (András Szigetvari, 5.10.2015)