Bulgariens Vizeregierungschefin Meglena Kunewa hat sich die Schaffung eines neuen zentralen Amts zur Korruptionsbekämpfung vorgenommen. Der Gesetzentwurf der früheren EU-Kommissarin fand im Parlament aber keine Mehrheit. Sie will ihn noch einmal einbringen.

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Neuer Anlauf: Bulgariens Regierungschef Boiko Borissow will mit der Reform des Obersten Justizrats mehr Transparenz in die Arbeit von Richter und Staatsanwälte bringen. Borrisow führt seit November 2014 ein schwieriges Regierungsbündnis seiner konservativen Gerb (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) und des ebenfalls rechten Reformblocks mit der rechtsnationalistischen Patriotischen Front und der linken Splitterpartei ABV (Alternative für Bulgarien).

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Recht und Gesetz sind in Bulgarien immer ein bisschen aus dem Tritt. Das sieht man schon an den beiden Löwinnen, die den Aufgang zum Sofioter Justizpalast flankieren. Eine der beiden schreitet so, wie kein Tier es tut – mit dem linken Vorderbein nach vorn, während das linke Hinterbein noch einen Schritt zurückgesetzt ist: ein Kunstfehler, zu sozialistischen Zeiten 1985 in Bronze gegossen.

Mit Reformen an der Spitze des Justizapparats und bei der Bekämpfung der Korruption von Staatsvertretern unternimmt die seit bald einem Jahr regierende Rechts-Links-Koalition in Bulgarien nun einen neuerlichen Versuch, Kritik aus der EU und der eigenen Gesellschaft zu dämpfen. Bewundernd blicken die Bulgaren auf ihren Nachbarn Rumänien, wo Bürgermeister und Minister regelmäßig hinter Gitter kommen. In Bulgarien dagegen wurden während mehr als 25 Jahren Experiment mit Demokratie und Marktwirtschaft zwar Richter oder Abgeordnete wegen ihrer Geschäfte mitunter strafrechtlich belangt und auch zum Rücktritt veranlasst. Letztinstanzliche Verurteilungen, die gar in einer Haftstrafe mündeten, gab es nicht.

Justizrat geteilt

Von der neuen Justizreform verspricht sich die Regierung von Premier Boiko Borissow wieder einmal mehr Transparenz. Kernstück der Reform ist die Teilung des Obersten Justizrats (VSS) in eine Kammer für Staatsanwälte und eine andere für Richter. Dabei soll das Parlament bei der Bestellung der Staatsanwältekammer ebenso viel Gewicht erhalten wie der Justizapparat selbst: beide wählen jeweils sechs Staatsanwälte in den VSS. In der Richterkammer ist es anders; sieben Richter werden von der Judikative, sechs von den Parlamentsabgeordneten bestimmt. Der VSS ist das oberste Verwaltungsorgan der bulgarischen Justiz. Ihren 25 Mitgliedern wird sowohl politische Beeinflussung nachgesagt, als auch grundsätzlich Trägheit oder Zögerlichkeit bei der Arbeit, etwa wenn es um Disziplinarmaßnahmen geht.

Diplomatische Vertreter von EU-Staaten in Sofia wenden ein, die Teilung des Obersten Justizrats ändere wenig an den ethischen Problemen des Justizpersonals. Auch eine Delegation der Venedig-Kommission – das Beratungsgremium des Europarats für Verfassungsfragen – soll bei einem Besuch in Sofia Zweifel am Sinn dieser Reform geäußert haben; sie wird ihren Bericht Ende Oktober präsentieren. Bulgariens Generalstaatsanwalt Sotir Tsatsarow schließlich stört der Einfluss der Politiker auf die geplante Staatsanwältekammer. Die Justizvertreter, so verlangt er, sollten wie in der Richterkammer ein Mitglied mehr als die Abgeordneten – sieben statt sechs – wählen dürfen.

Eigensinniger Partner

Die Justizreform war in Form einer Verfassungsänderung Ende September in erster Lesung mit einer Dreiviertel-Mehrheit angenommen worden. Lediglich die Sozialisten der BSP und ihre kleine Abspaltung, die Alternative für Bulgarien (ABV) des früheren Staatspräsidenten Georgi Parwanow, votierten dagegen; ABV ist allerdings gleichzeitig in der Koalitionsregierung mit einem Vizepremier vertreten. Zwei weitere Lesungen sind nun notwendig. Einen umfassenden Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Korruption in höheren Ämtern versenkte das Parlament dagegen schnell im selben Monat: Auch hier versagte der politische Kleinverein ABV dem Premier die Unterstützung und enthielt sich, ebenso wie die rechtsgerichtete Patriotische Front – ein weiterer Regierungspartner – und die türkischstämmige Unternehmerpartei DPS; die Sozialisten der BSP stimmten dagegen. 14 EU-Botschafter, darunter auch Österreichs Vertreter Roland Hauser, mahnten daraufhin in einem gemeinsamen Schreiben, die Parlamentsparteien mögen rasch neue Ideen zur Korruptionsbekämpfung vorlegen.

Das Plenum war nahezu voll, als die Abstimmung über die Gesetzesvorlage der früheren EU-Kommissarin und heutigen Vizeregierungschefin Meglena Kuneva anstand, und gleich danach wieder halb leer. "Für viele Abgeordnete war das eine persönliche Angelegenheit. Sie hatten offensichtlich Angst, selbst Ziel von Untersuchungen zu werden", erinnert sich ein Regierungsmitarbeiter. Beide Reformen – die Teilung des Justizrats und die Anstrengungen zur Korruptionsbekämpfung – sind Folge der Anti-Regierungsproteste im Sommer und Herbst 2013. Damals hatte eine Regierungsmehrheit von Sozialisten und türkischstämmiger Unternehmerpartei den Oligarchen Deljan Peewski unerwartet und ohne Aussprache innerhalb weniger Minuten zum Chef der Staatssicherheitsbehörde gemacht. Wer den Auftrag dazu gab, ist bis heute nicht klar.

10.000 im Visier

Kunewas Gesetzentwurf sieht die Einrichtung eines neuen Nationalen Amts zur Korruptionsbekämpfung auf höherer Ebene vor. Dabei geht es um die Kontrolle von etwa 10.000 Staatsvertretern in Bulgarien – vom Staatspräsidenten über Minister, Abgeordnete, Richter bis zu Stadtarchitekten, Bürgermeistern und Gemeindeverordneten. Sie alle müssen jährlich ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Die neuen Korruptionsjäger hätten aber erstmals auch dezidiert die Aufgabe, "unerklärten Reichtum" zu erforschen. So gab der Abgeordnete Peewski bisher stets an, nur einen alten Opel als Fahrzeug zu besitzen; handschriftlich fügte er nun in seiner Vermögenserklärung an, dass er von seiner Mutter auch 50 Prozent der größten Mediengruppe des Landes erhalten hätte.

Kunewa will ihren Gesetzentwurf nach den Kommunalwahlen in Bulgarien am 25. Oktober erneut einbringen. Dann dürfte es einige Änderungen geben. Denkbar ist, dass die Regierung einen Passus fallen lässt, der anonyme Hinweise von Bürgern bei der Korruptionsbekämpfung gelten lässt. Der Nominierung des obersten Korruptionsjägers durch die Regierung könnte auch eine Anhörung im Parlament vorausgehen. Vielleicht beruhigt dies einige der geschäftstreibenden Abgeordneten. (Markus Bernath aus Sofia, 5.10.2015)