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Christlicher Rosenkranz, islamische Gebetskette (Misbaha) und jüdischer Gebetsschal (Tallit)
DER STANDARD vom 5. Juli enthält ein interessantes Interview mit dem Politikwissenschafter Ulrich Willems. Es gäbe sicherlich vieles zu diesem Interview zu sagen, ich möchte hier nur einen einzigen zentralen Punkt aufgreifen: die Frage nach dem Umgang mit religiöser Vielfalt.
Willems sagt im Interview unter anderem: "Das lateinische Christentum hat zwar seit dem frühen Mittelalter West- und Mitteleuropa kulturell und politisch geprägt, aber Europa wurde immer auch durch den politischen, ökonomischen und kulturellen Austausch mit anderen Räumen und Traditionen geprägt, und im Inneren ist Europa nicht durch Homogenität, sondern durch Konkurrenz, Konflikt und Koexistenz unterschiedlicher religiöser Traditionen gekennzeichnet." Und er sagt dann auch, indem er "das nicht immer einfache Aushalten von Vielfalt und die Suche nach Möglichkeiten friedlicher Koexistenz" ins Zentrum rückt: "Heute sind die Religionsgemeinschaften vor allem gefordert, intern Lernprozesse mit Blick auf den Umgang mit der religiösen Pluralität in Gang zu setzen."
Religiöse Vielfalt
Zur religiösen Vielfalt tragen – neben vielen anderen – auch diejenigen Atheistinnen und Atheisten bei, die ein religiöses Bekenntnis haben, etwa Mitglieder der Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich. (Die hier vielleicht naheliegende Frage, was denn ein Bekenntnis zu einem religiösen Bekenntnis macht, ist meiner Einschätzung nach keine völlig triviale Frage.)
Es gibt in Europa eine spannende Entwicklung in der Frage, was von staatlicher Seite als "Religion" betrachtet wird. Die Richtlinie 2004/83/EG des Rats der Europäischen Union erklärt in Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b: "Der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind." Das österreichische Bundesverwaltungsgericht hat bereits im Fall eines Atheisten von "alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bindenden normativen Vorgaben" beziehungsweise "unmittelbar anwendbaren Vorgaben des Artikel 10 Abs. 1 b" dieser Richtlinie gesprochen und sie dementsprechend in seinem Erkenntnis L506 1423940-1 vom 18. März auch direkt angewandt.
Ulrich Willems definiert "Religionspolitik" im Interview als "das Politikfeld, in dem es um die Regelung religiöser Praktiken und das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften geht". Gerade in diesem Politikfeld gibt es ganz offensichtlich ein gewisses Konfliktpotenzial.
Gleichbehandlung aller Religion(sgemeinschaft)en durch den Staat nach einheitlichen Kriterien?
Eine an der Vermeidung von unnötigen Konflikten orientierte und in dieser Hinsicht wirklich attraktive Option für staatliches Handeln in Österreich besteht darin, den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz wirklich ernst zu nehmen. Unser Staat hat sich in der Vergangenheit mehrfach zu einer gewissen Neutralität in religiösen Fragen verpflichtet. Vor diesem Hintergrund könnten wir uns fragen, ob etwas dagegen spricht, bei der Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Religion(sgemeinschaft)en in Zukunft einheitliche, sachlich sehr gut begründete und sehr klar formulierte Kriterien zu entwickeln, nach denen alle Religion(sgemeinschaft)en (und ihre Mitglieder) gleich behandelt werden können. Spricht etwas dagegen, staatliches Recht im Hinblick auf alle Religion(sgemeinschaft)en nach allgemeinen, einheitlichen Kriterien zu gestalten und im staatlichen Handeln grundsätzlich niemanden – weder eine "Katholische Kirche" noch eine "Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich" noch eine "Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich" – zu bevorzugen oder zu benachteiligen?
Ich persönlich halte nicht nur eine weltoffene Wahrnehmung religiöser Vielfalt für wünschenswert, sondern auch einen weltoffenen Umgang mit religiöser Vielfalt. (Wilfried Apfalter, 7.10.2015)