Es ist eine der am meisten wiederholten nahöstlichen politischen Binsenweisheiten, dass der Status quo zwischen Israel und dem Westjordanland nicht ewig aufrechtzuerhalten ist: eine territorial stark beschränkte palästinensische Selbstverwaltung, deren Ziel, ihre Landfetzen zu einem Staat zusammenschließen zu können, seit Jahren feststeckt, während die israelischen Siedlungen weiter wachsen. Neben den heißen Konflikten in den Nachbarländern seit 2011 schien die Erstarrung, in die das Westjordanland fiel, noch der bestmögliche Zustand.

Damit könnte es vorbei sein, manche sprechen bereits vom schleichenden Beginn einer dritten Intifada. Anzeichen dafür gab es schon länger: einen unterschwelligen "individuellen" palästinensischen Terrorismus besonders in Ostjerusalem, einen immer aggressiveren rechtsextremen jüdischen Sektor, der zuletzt einen Kampf um den Tempelberg anzuzünden versuchte.

Anders als früher kann sich Israel nicht mehr auf die Palästinenserführung verlassen: Mahmud Abbas droht, die Sicherheitszusammenarbeit aufzukündigen. Der Palästinenserpräsident muss befürchten, dass die Intifada nicht nur Israel, sondern auch die eigene Autonomiebehörde trifft. Wenn diese fällt, würde Israel wieder zur vollen Besatzungsmacht – und der folgende Aufstand zum Geschenk für den internationalen Jihadismus. Wie die Lemminge ziehen Israelis und Palästinenser in Richtung Abgrund.(Gudrun Harrer, 6.10.2015)