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Ahmet Hakan, Kolumnist beim türkischen Massenblatt "Hürriyet" und Moderator von "Tarifsiz Bölge", einer der wichtigsten politischen Talkshows, auf CNN Türk, wird seit Wochen von Vertretern des Regierungslagers angegriffen. Einen psychisch Kranken und PKK-Freund, der "wie eine Fliege zerquetscht" werden kann, nannte ihn ein Kolumnist des Regierungsblatts "Star". Dann schritten AKP-Mitglieder zur Tat.

AP / Sebati Karakurt

Drei haben den Leibwächter festgehalten, der vierte schlug zu. So endete Ahmet Hakans Arbeitstag. Nase und Rippen gebrochen, Montagabend sollte er wieder auf Sendung sein, eine Kollegin sprang stattdessen ein. "Tarafsız Bölge" – "unparteiisches Gebiet" – heißt Hakans Polit-Talkshow beim Nachrichtensender CNN Türk, jede Woche an zwei Abenden, mit Studiogästen, politisch brav proportioniert, und mit einem Moderator mit Zauselbart, der nachfragt, was der normal denkende Mensch eben wissen will.

Dann aber wartete auf der Straße vor dem Wohnhaus in Istanbul der "taraflı bölge" auf den 48-Jährigen, die Schlägertruppe aus dem Regierungslager. Hakan ließ sich ins Krankenhaus fahren, nachdem er verprügelt worden war, und kam, schnell versorgt, auch bald wieder nach Hause. Dankbar müsste er fast den züchtigenden Mitbürgern sein. Hätte ja sehr viel übler ausgehen können. Denn wie hatte doch Hakans Journalistenkollege Cem Küçük Anfang September noch in seiner Kolumne in der regierungstreuen Tageszeitung Star erklärt: "Wenn wir wollten, können wir dich wie eine Fliege zerquetschen."

Express-Parteiausschluss

Wollten sie dieses Mal also nicht. Die vier mutmaßlichen Übeltäter sind sogar flugs gefasst worden, was daran lag, dass sie ein Auto mit Kennzeichen benutzten und also der Polizei eine schwer zu umgehende Spur legten. Keine Profis, das kann man wohl jetzt schon sagen, nur eben Mitglieder der regierenden konservativ-islamischen Partei AKP in Istanbul. Drei der vier Schläger zumindest, und dies auch schon seit mehreren Jahren. Die Parteiführung reagierte empört und kündigte den sofortigen Hinauswurf der Prügler an. Auch der Staatschef zeigte sich nicht zufrieden. Aber dann, aber dann müsse auch Gerechtigkeit auf beiden Seiten herrschen, sagte Tayyip Erdogan auf die Frage eines Journalisten bei einer Pressekonferenz vor seinem Abflug nach Straßburg und Brüssel. Sie sollten nicht nur sagen, "es hat mich getroffen", wenn es auch andere erwischt, sagte der Präsident über seine Kritiker und die Angriffe auf das Regierungslager.

Natürlich lässt sich die Affäre Ahmet Hakan nicht so leicht beiseiteschieben: Zum einen ist die Verprügelung eines bekannten Fernsehjournalisten ein noch nicht dagewesenes Ereignis in den 13 Jahren AKP-Herrschaft. Kolumnisten sitzen mittlerweile wegen Präsidentenbeleidigung im Gefängnis wie Gültekin Avci von der Gülen-Tageszeitung "Bugün" oder werden entlassen wie Can Dündar oder Kadri Gürsel bei der einst liberalen Tageszeitung "Milliyet". Physische Angriffe gab es bisher nicht, sieht man ab von dem Mordkomplott gegen Hrant Dink, den türkisch-armenischen Publizisten und Chefredakteur von "Agos"; der wurde 2007 auf der Straße erschossen. Der Fall Hakan wird sich schlecht auswirken auf: den jährlichen Bericht der EU-Kommission zum Fortschritt der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei (geplante Veröffentlichung: 21. Oktober), den G-20-Gipfel in Antalya mit Teilnahme von Barack Obama (15. und 16. November), den nächsten Press Freedom House Report (April 2016). Obwohl: Die Türkei wird dort schon seit 2014 als "nicht frei" gelistet.

100.000 Lira

Zum anderen aber muss irgendjemand ja die Idee für den Angriff auf Ahmet Hakan vor dem Wohnhaus gehabt haben oder gar die 29-jährigen Muskelmänner beauftragt haben. Das soll Yahya Kemal G. sein, ein frühpensionierter Polizeibeamter, der ein Café im konservativen Istanbuler AKP-Stadtviertel Fatih führt. 100.000 Lira hat er den vier Schlägern versprochen, kein allzu großes Sümmchen mittlerweile wegen des rasanten Lira-Verfalls in den vergangenen Monaten: umgerechnet 7.500 Euro pro Faust und Nase. Aber immerhin doch eine beachtliche Ausgabe für einen Privatier. Der Geheimdienst und der Präsident seien auch im Boot, soll der Expolizist seinen Prüglern versichert haben. Die türkische Justiz ermittelt. (Dieser Beitrag kann Spuren eigener Meinung enthalten.) (Markus Bernath, 7.10.2015)