Die einen sind froh, ihr entkommen zu sein, die anderen denken mit Wehmut an ihre Zeit in der Wohngemeinschaft zurück. Wir fragen sechs Kollegen nach ihren Erinnerungen.

Wir heizten mit Holz, Kohle und manchmal auch mit alten Möbeln, trugen dicke Mäntel und Baskenmützen, umgingen trickreich das Verbot von Damenbesuch, frühstückten ausgiebig, staubsaugten selten, duschten gegen Bargeld bei der Nachbarin, wurden von den Glocken der Piaristenkirche geweckt, fluchten, hörten Gershwin morgens um vier, tanzten beim Bankberater an, lasen Turgenjew und Dostojewski, jobbten als Bilderrahmenverkäufer, geizten mit dem Cognac, kredenzten Valpolicella, telefonierten mit einem moosgrünen Viertelanschlusstelefon, lauschten dem Glucksen der Kaffeemaschine und dem eiernden Sound eines Walkman, verkehrten in den Tiefen des "Hexenkellers", fühlten uns wie Hemingway in Paris, besorgten eine Maus in der Zoohandlung, entließen sie im Frühjahr in einen Fliederbusch, hatten keinen Fernseher, prellten einmal die Zeche, fladerten öfter die Zeitung, saßen in der Sonne im Innenhof, schickten den Müttern die Wäsche, kochten selbst Carbonara und Kartoffelgulasch, pofelten Smart, schwärmten für Cindy Crawford, ignorierten die Türglocke, verbrachten Nächte am Küchentisch, erhellten das Gangklo mit Kerzen, verabscheuten Zimmerpflanzen, klangen mehrere Male wie Janoschs Waldbär, kauften Lebensmittel beim "Konsum", schrieben Bittpostkarten über den Arlberg, rasierten uns selten, reisten Hals über Kopf nach Madrid, mieden das Postkastl, gingen schon auch auf die Uni und wussten am Ende nicht, was es hieß, dieses Dasein aufzugeben. Es war vielleicht nicht die schönste aller Zeiten, aber sie hat definitiv Chancen auf einen Stockerlplatz.

Michael Hausenblas ist Redakteur beim RONDO und lebte zwischen 1988 und 1992 in WGs im Wiener 7., 8. und 11. Bezirk.

Es gibt Dinge, die erlebt man nur in einer WG. Den Anruf einer Mitbewohnerin zum Beispiel, die fragt, wie man zu Schlangen stehe. "Das kommt darauf an", dürfte genügt haben, denn kurz darauf hielt in unserer Wohnung eine Albino-Königspython namens Fridolin Einzug. Der Name täuschte über seine teuflisch roten Augen nicht hinweg. Jahre später kam ich zumindest dem Geruch auf die Schliche, der nun manchmal durch die Wohnung wehte: Fridolins Artgenossen fressen lebendige Mäuse, und die machen Mist.

Als mir das klar wurde, wohnten Frido und ich nicht mehr zusammen. Während eines Auslandsjahres in Toronto lebte ich mit einem Iren und einer Russin, die Putin toll fand, im Dachboden eines alten Hauses. Noch etwas, was man nur in einer WG erlebt: mitten in der Nacht durch Hämmern am Küchenfenster geweckt zu werden – obwohl man, wie gesagt, unter dem Dach wohnt. Wer mag die Feuerleiter heraufgekraxelt sein? Ein Romeo? Ein Einbrecher, der, freundlich wie Kanadier eben sind, um Einlass bittet? Fehlanzeige: ein betrunkener Ire, der Schlüssel und Geld verloren hatte.

Er bezahlte ungern Rechnungen, konnte meinen farbkodierten Putzplan nicht lesen und brachte manchmal frühmorgens laute Gäste mit nach Hause, hatte aber dafür den melodischsten irischen Akzent, die traurigsten Augen – und er schenkte mir einen Fernseher, weil er aus irgendeinem Grund zwei davon hatte.

Tiere hatten wir auch: Bei Regen suchten Eichhörnchen Zuflucht in der Hausmauer. Wenn wir abends zusammensaßen, hörten wir sie neben uns kratzen und fiepen. Ein Glück, dass Fridolin weit weg war.

Franziska Zoidl ist Immobilien-Redakteurin, und lebte von 2006 bis 2010 in Wohngemeinschaften im In- und Ausland.

Foto: Matthias Cremer

Paris war schon im letzten Jahrhundert so unverschämt teuer, dass man in jungen Jahren mit Geld umzugehen lernt. Die Filmstudentin importierte harte Billigwürste aus Madrid, damit wir uns das Nötigste – drei Austern pro Woche – leisten konnten. Die Arabisch studierende Madrilenin lernte bald, aus Kostengründen ihre Kalligrafien auf fettiges Papier zu schmieren – weil wir ohne die darin verpackte Butter nicht überlebt hätten. Das Milchprodukt stammte von einem bescheidenen bäuerlichen Château in der Normandie und wurde immer montags per Bote geliefert. Man sieht schon: Die Spanierinnen in der WG waren das Sparen von Haus aus gewohnt. Für den Österreicher bedeutete das leider nichts als Verzicht. Nur selten schlugen wir beim Ausgehen über die Stränge.

Im Jazzclub Chat Noir an der Place Pigalle war der Sound billig, aber der Champagner teuer. Damit ihn das ganz auf Askese getrimmte Trio fremdfinanzieren konnte, angelte sich die eine Studentin einen spendablen Schotten aus Glasgow, die andere einen potenten Polen aus Krakau. Wir waren arm und taten es nur, um der vorübergehenden Vierten im Bunde einmal ordentlich einzuschenken. Die kreuzkatholische Kurzzeitkommilitonin zog nach nur einem Tag bei uns wieder aus. Sie entstammte einer verarmten politischen Kaste Puerto Ricos, schwafelte ständig irgendetwas von Moral und bewohnte nach unserem Bruch alleine eine Mansardenwohnung in einem feineren Arrondissement.

Während des Studiums nicht in der WG wohnen zu wollen, kommt einen aber irgendwann teuer zu stehen. Bekanntermaßen ist Puerto Rico heute pleite.

Sascha Aumüller ist Redakteur beim RONDO und lebte 1998/99 während des Politikstudiums in einer WG in Paris-Montmartre.

Es war definitiv ein gutes Omen, dass sich im alten 1960er-Jahre-Kücheneinbauradio, das wir beim Einzug mit übernommen hatten, nur ein Radiosender einstellen ließ. Es waren die 1990er-Jahre, und niemand hörte Radio Wien. Wir schon. Unsere Küchenpartys: legendär ("Up Where We belong", Joe Cocker / Jennifer Warnes). Um zwei voneinander getrennte Studentinnen-WG-Zimmer zu haben, mauerten wir eigenhändig einen Rundbogen mit Rigipswänden zu, was uns aber noch viel enger zusammenwachsen ließ.

Wir waren Schneeweißchen und Rosenrot und das mitten im Ersten in Wien ("Summer of 69", Bryan Adams). Nachts der Blick auf die beleuchtete Spitze des Stephansdoms war beileibe nicht der einzige Grund, warum wir in der Zweier-Mädels-WG immer volles Haus hatten. Unser Schrankkabinett wurde ein Kleidertauschparadies ("Material Girl", Madonna), unsere Abendessen wurden immer ein Fest, auch wenn der Hauptgang niemals vor Mitternacht auf den Tapezierertisch kam, und im grün verfliesten 60er-Jahre-Badezimmer wurde nicht immer nur gebadet.

Wir waren wild ("Highway to Hell", AC/DC) – zumindest für unsere eigenen Maßstäbe. Wir versteckten für Freunde Graffitisprayzeugs unter den Betten. Wir hatten jede Menge Geheimnisse, aber keine voreinander.

Als ich eines Nachts nach Hause kam und blutverschmiert "Kein Sorge" an der Vorzimmerschrankwand stand (mit ein bisschen Alkohol im Blut kann man sich böse in die Hand schneiden), wusste ich: Diese Frau wird für immer meine beste Freundin bleiben ("You’re Still The One", Shania Twain). Ich sprang in ein Taxi, fuhr ihr nach ins Krankenhaus. Unsere wilden WG-Zeiten sind lang vorbei ("Everything Changes", Take That). Schneeweißchen und Rosenrot gibt es noch immer.

Mia Eidlhuber ist Redakteurin im Ressort Album und lebte von 1996 bis 1999 mit ihrer Freundin in einer WG im 1. Bezirk in Wien.

In der ersten WG gab es einen Winter, in dem das Tageslicht fast nur zu Mittag wahrgenommen wurde. Im U4 hatten bis zur ersten U-Bahn wieder einmal die Goldfisch’ gegeigt. Danach stärkte man sich von der Früh weg in einem dieser Lokale am Naschmarkt, die schon um vier Uhr Früh aufsperrten, noch mit Schwerarbeiteressen und Erfrischungsgetränken. Das Lokal war Gott sei Dank mit lichtundurchlässigen Vorhängen ausgestattet, und wir erfuhren immer erst relativ spät am Vormittag, dass es auch einen Ausgang besaß. Mit Sonnenbrillen schafften wir es nach Hause. Die WG lag im Erdgeschoß eines heruntergerockten Hauses an einer Wiener Einfahrtstraße. Man konnte wegen der Luft und Lautstärke zu keiner Tageszeit die Fenster aufmachen. Wahrscheinlich waren sie aber ohnehin abgedunkelt.

Die Dusche war praktischerweise ins Klo eingebaut. Das sparte viel Zeit. So konnte man länger die Uni versäumen. Jemand brachte immer Zeug für sich aus dem Supermarkt nach Hause. Wenn er nicht aufpasste, aßen es ihm die anderen weg. Das war nicht lustig, deshalb redeten wir in der WG nie miteinander. Aber dafür hatten wir ja im Nachtleben eh genug Zeit.

Welche Person von den drei oder vier Menschen in dieser WG ich jetzt genau gewesen bin, kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Es ist einfach zu lange her. Sicher ist aber, dass ich dabei gewesen bin und mein Name wahrscheinlich Baier Rudi war. Das vermute ich, weil wie hätte ich sonst am Wochenende heim aufs Land kommen können? Wo in Wien gehen überhaupt Züge weg? Eben. Ich war der Einzige mit Auto. Daheim hat dann die Mutter das beim Studieren verrauchte Gewand gewaschen und mir Geld zugesteckt, damit ich Bücher oder so kaufen kann. Das WG-Leben war schön. Ich möchte diese Zeit unbedingt missen.

Christian Schachinger ist Redakteur im Ressort Kultur und lebte während der 1980er-Jahre in WGs. Danach reichte es ihm.

Foto: Andi Urban

Für viele ist es der Schwank aus ihrem Leben schlechthin. Geschichten von gemeinsamen WG-Räuschen, wuchernden Pilzen auf riesigen Häferlbergen und verschlafenen Uniseminaren. Eine solche nostalgische Schwärmerei rührt meist daher, dass für die meisten das Konzept Wohngemeinschaft von der ersten Minute im geteilten Heim an lediglich als Übergang gedacht war. Da gibt es ein paar Jährchen, da ist man nicht mehr Kind, aber auch noch nicht erwachsen – in diesem Zeitfenster geht’s ab in die WG, und später hat man wenigstens ein paar wilde Geschichten in petto.

Ich habe das an sich grundvernünftige Konzept WG als mögliche Lebensform für immer durchaus ernst genommen. Wer wie ich am Land aufwächst, kann schon früh einen gewissen Separierungszwang beobachten: Sobald man halbwegs kreditwürdig ist, wird ein Häusl, Dachausbau oder Zubau gezimmert. Schön ist das selten, Platz nimmt es auch weg, das müsste doch nicht sein.

Der Fokus lag also durchaus auf der Erprobung eines möglicherweise langfristigen Wohnkonzepts. Zwei WGs später war klar, dass sich künftig wohnen ohne Mitmieter ausgehen muss. Sei es der Smalltalk am Weg zum Klo, das Sich-schuldig-Fühlen, weil nach dem Ausgehen der zuvor abgelehnte Linseneintopf doch gut genug schmeckte, um ihn den anderen wegzufuttern, oder das Mitten-in-der-Nacht-nicht-in-die-eigene-Wohnung-Können, weil die Mitbewohnerin zum tausendsten Mal den Schlüssel stecken ließ und auch 20-minütiges Sturmläuten nicht hört. Die Nachbarn aber schon. Oder aber die Wohnungstür steht die ganze Nacht sperrangelweit offen, weil irgendwer weder die Türklinke, geschweige denn den Schlüssel bedienen konnte. Aber Respekt vor allen, die die Nerven für so etwas haben.

Beate Hausbichler ist Redakteurin im Ressort Wissen und Gesellschaft und lebte von 1998 bis 2001 in WGs im 2. und 5. Bezirk in Wien.

(RONDO, 10.10.2015)

"Klagen über zu lauten Sex gibt's bei Männern nie"

"Wir haben nicht ein mal ein Schloss am Klo"

"Wie es halt so ist, unter Menschen"

Foto: Matthias Cremer