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Der Preis für Rohkaffee ist tief wie schon lange nicht, und die Bauern, die ohnehin nur einen Bruchteil davon sehen, haben noch weniger.

Foto: Reuters/Thomas Mukoya

STANDARD: Was ist für Sie fair?

Lamb: Wenn Kleinbauern genug zu essen haben, ihre Kinder in die Schule schicken und für die Zukunft planen können.

STANDARD: Und unfair?

Lamb: Wenn ein Bauer, der Kakao, Kaffee oder Bananen anbaut, am Abend kein Essen auf den Tisch stellen, seine Kinder nicht in die Schule schicken kann und nichts hat, um für die Zukunft zu planen.

STANDARD: Hat Fairness mit Gerechtigkeit zu tun?

Lamb: Absolut, das sind zwei Seiten derselben Medaille. Es ist ein Skandal, dass es im globalen Handel mit Rohstoffen heute noch so viel Ungerechtigkeit gibt. Wir genießen in der Früh eine Tasse Kaffee, Tee oder essen eine Banane. Die Bauern aber, die anbauen und ernten, leben häufig in unbeschreiblicher Armut. Es gibt Dörfer ohne Trinkwasser, ohne Schulen. Viele Frauen können von einer Ausbildung oft nur träumen.

STANDARD: Kaffee ist so billig wie schon lange nicht.

Lamb: Dabei konnte ein Bauer schon bisher kaum davon leben. Das ist nicht gottgegeben. Man kann dagegen etwas tun – einen Zuschlag zahlen, wie beispielsweise Fairtrade das macht.

STANDARD: Passen Wettbewerb und Fairness zusammen?

Lamb: In einer idealen Welt gibt es einen Wettlauf, wer fairer ist.

STANDARD: Die Welt ist nicht ideal.

Lamb: Man kann die Bedingungen dafür schaffen. Schauen sie, was Fairtrade Österreich gelungen ist. 92 Prozent der Bevölkerung kennen das Siegel, 90 Prozent vertrauen ihm. Der Umsatz mit Fairtrade-Produkten ist in Österreich 2014 um 14 Prozent gestiegen.

STANDARD: Und global?

Lamb: Weltweit hat der Umsatz mit Fairtrade-Produkten im Vorjahr um gut zehn Prozent zugelegt. Es gibt Länder, darunter Österreich, wo Fairtrade-Produkte besonders stark verbreitet sind. 25 Prozent aller Bananen werden hierzulande mit dem Fairtrade-Siegel verkauft, auch ein Drittel aller Blumen, die von außerhalb Europas kommen. Sehr stark sind wir in der Schweiz und in Großbritannien, wo bereits jede zweite respektive jede dritte Banane Fairtrade ist. Besonders stark gewachsen sind wir zuletzt in Deutschland und in Schweden.

STANDARD: Was ist der Grund?

Lamb: Deutschland, Niederlande, Schweiz – das war die erste Welle, dort haben wir den Zeitgeist getroffen. Dann kamen Großbritannien und viele weitere Länder. Erfolg bedingt weiteren Erfolg.

STANDARD: Das Bewusstsein für fairen Handel ist gestiegen, dennoch gibt es noch viel unfairen Handel. Wie lässt sich die Lücke schließen?

Lamb: Indem wir die Umsätze mit Fairtrade-Produkten steigern, denn davon leben die Bauern. Auch muss es gelingen, noch mehr Unternehmen für fairen Handel zu begeistern. Die Idee von Fairtrade ist erst 25 Jahre alt. Wir arbeiten mit rund 5000 Unternehmen zusammen, und es werden ständig mehr.

STANDARD: Wie finanzieren Sie sich?

Lamb: Die Unternehmen zahlen Lizenzgebühren, wir bekommen aber auch Geld von Spendern. Ohne Spenden könnten wir gewisse Projekte gar nicht auf die Beine stellen.

STANDARD: Kann ein großer Konzern, der wie Nestlé in erster Linie seinen Aktionären verpflichtet ist, fair agieren?

Lamb: Das ist eine Gratwanderung. Die Börse erwartet schnelle Renditen, das schränkt die Möglichkeit von Unternehmen ein, sich nachhaltig auszurichten. Am Ende hängt deren wirtschaftlicher Erfolg aber gerade von Initiativen ab, die in Richtung Nachhaltigkeit gehen, etwa bei Kaffee. Wer heute nicht in Kaffeebauern investiert, wird in 50 Jahren niemanden mehr haben, der Kaffee anbaut. Deshalb glaube ich, dass auch Unternehmen wie Nestlé ihr Augenmerk zunehmend auf die Nachhaltigkeit von Investitionen richten und nicht mehr allein am kurzfristigen Gewinn interessiert sind.

STANDARD: Nespresso, ein Unternehmen von Nestlé, kooperiert ...

Lamb: ... mit uns. Wir arbeiten in einem Projekt in Kolumbien zusammen. Das Durchschnittsalter der Kleinbauern dort ist 54, von den Jungen wollen die wenigsten in der Landwirtschaft bleiben, viele zieht es fort. Sie haben nichts zu verlieren, keine Aussicht auf eine Pension, nichts. Da ist die Idee entstanden, ein Pensionssystem auf die Beine zu stellen, zusammen mit einer lokalen Kooperative. Auch die kolumbianische Regierung ist mit im Boot. Bis jetzt haben sich 854 Bauern gemeldet. Ein Teil des Fairtrade-Aufschlags geht in den Pensionsfonds.

STANDARD: Nespresso ist stark kritisiert worden wegen der Alukapseln, in die der Kaffee abgefüllt wird. Was ist Ihre Meinung dazu?

Lamb: Für uns steht die Bekämpfung der Armut im Vordergrund. Wir sind natürlich dafür, dass auch das Verpackungsmaterial so nachhaltig wie möglich ist; dafür sind aber andere verantwortlich.

STANDARD: Kann fairer Handel ein Hebel sein, Migration zu bremsen?

Lamb: Wir sollten uns nicht überschätzen. Natürlich spielt es eine Rolle, ob jemand von seinem Stück Land leben kann oder gezwungen ist wegzuziehen. Niemand verlässt seine Heimat gern. Wenn man beim Aufbau einer tragfähigen Ökonomie hilft, ermöglicht man den Leuten auch, in ihrem Land zu bleiben.

STANDARD: Wird Fairtrade irgendwann – in 40, 50 Jahren – überflüssig sein und sich auflösen können?

Lamb: Das ist unsere Vision. 40 Jahre ist wahrscheinlich zu früh. Man denke nur daran, wie lange es gedauert hat, die Sklaverei abzuschaffen. Irgendwann wird es Fairtrade nicht mehr brauchen. (Günther Strobl, 8.10.2015)