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Alexander Lukaschenko, seit 1994 Präsident von Weißrussland, rüstet sich für eine fünfte Amtszeit.

Foto: Reuters / Vasily Fedosenko

Minsk/Moskau – Der Favorit fehlte bei der Fernsehdebatte am Samstag im weißrussischen Fernsehen. Amtsinhaber Alexander Lukaschenko ließ sich nicht auf eine Diskussion mit seinen Herausforderern bei der am Sonntag anstehenden Präsidentenwahl ein. "Lukaschenko hat die Debatten ignoriert, weil er weder mit mir noch mit Ihnen reden will", wandte sich Tatjana Korotkewitsch eher an die Wähler vor den Bildschirmen als an ihre zwei Mitbewerber. Die 38-jährige Psychologin wurde von der Opposition ins Rennen geschickt, um den seit über 20 Jahren herrschenden Lukaschenko abzulösen.

Eigentlich ständen die Chancen auf einen Wechsel in Minsk gar nicht schlecht: Die Wirtschaft ist in einer tiefen Krise. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird heuer voraussichtlich um 3,5 Prozent fallen, der Durchschnittslohn liegt unter 400 Dollar im Monat.

Das ist weit von dem entfernt, was Lukaschenko bei den vorangegangenen Wahlen versprochen hatte: Im damaligen Fünfjahresplan wollte er den Durchschnittslohn auf 1000 Dollar anheben und das BIP um 62 bis 68 Prozent steigern – laut Weltbank waren es von 2011 bis 2014, also vor dem Absturz, gerade einmal zehn Prozent. Zudem haben die Belarussen Währungsabwertung und Hyperinflation hinter sich.

Angst vor Unruhen

Wirtschaftlich und sozial sieht "Stabilität", das Schlagwort, unter dem Lukaschenko seinen Wahlkampf führt, anders aus. Doch so sehr die Weißrussen auch ihre persönliche und die gesamte Wirtschaftslage beklagen – jüngsten Umfragen zufolge spüren 42,5 Prozent eine Verschlechterung ihrer materiellen Verhältnisse und gar 75,1 Prozent die Krise im Land -, so groß ist die Angst vor politischen Unruhen. Trotz der Unzufriedenheit, gerade bei den jungen Menschen, fehlt jedwedes politisches Engagement.

Angesichts des Chaos im Nachbarland Ukraine gelingt es Alexander Lukaschenko, bei seinen Landsleuten mit der Furcht vor einer ähnlichen Entwicklung zu punkten. "Die ganze Kampagne ist darauf aufgebaut, was nicht passiert ist: Es hätte wie auf dem Maidan ausgehen können, es hätte einen Krieg wie im Donbass geben können", erklärt der weißrussische Ökonom Sergej Tschaly Lukaschenkos simples Rezept.

Belarus im Wirtschaftstief

Einfach, aber wirkungsvoll: In den einzig verfügbaren Umfragen, durchgeführt vom oppositionsnahen Freien Institut für sozioökonomische und politische Studien (IISEPS) liegt Lukaschenko weiterhin vorn: Bei der Sonntagsfrage kommt er auf 45,7 Prozent, seine schärfste Herausforderin Korotkewitsch auf 17,9 Prozent. Das würde umgerechnet auf eine Wahlbeteiligung von etwa 80 Prozent für einen Sieg des Amtsinhabers in der ersten Runde (rund 56 Prozent) reichen, freilich nicht für ein typisches "Lukaschenko-Ergebnis" von 90 Prozent, das er laut eigenen Angaben ja vor einigen Jahren auf 80 Prozent herunterfälschen ließ.

Fälschungen sind auch diesmal nicht auszuschließen. Eine unabhängige Kontrolle der meisten Wahllokale gibt es nicht. 99 Prozent der Wahlhelfer, insgesamt mehr als 70.000, stammen aus regierungsnahen Organisationen.

Zweifelhafter Siegeswillen

Allerdings sind im Gegensatz zu vorangegangenen Wahlen auch keine größeren Proteste zu erwarten. Die drei Gegenkandidaten Lukaschenkos, die nicht durch das Sieb der Unterschriftensammlungen gefallen sind – neben Tatjana Korotkewitsch sind dies Nikolai Ulachowitsch von der Weißrussischen Patriotischen Partei und Sergej Gaidukewitsch von der Liberaldemokratischen Partei -, haben schon angekündigt, ihre Anhänger nicht auf die Straße zu führen, sollten sie verlieren.

Gerade am Siegeswillen Gaidukewitschs gibt es ohnehin ernsthafte Zweifel. Zweimal hat er bereits bisher an den Präsidentschaftswahlen teilgenommen, wobei er sich zuletzt im Jahr 2006 als Anhänger Lukaschenkos bezeichnete und die Opposition kritisierte.

Durchhalteparolen

Die von Lukaschenko kontrollierten Medien beschränkten sich diesmal auf Durchhalteparolen und Verweise auf frühere Verdienste des 61-jährigen Amtsinhabers und verzichteten auf eine Hasskampagne gegen die Opposition. Dafür präsentierte die Opposition sich selbst schwach. Auf einen Einheitskandidaten konnte sie sich – erneut – nicht verständigen.

Ein Teil der Oppositionsführer rief zum Boykott auf, andere kritisierten Korotkewitsch als zu bieder. Selbstzerfleischung und das Fehlen klarer Inhalte spielen Lukaschenko in die Hände. Und so sehen die meisten Experten die Wiederwahl Lukaschenkos als Formsache. Der "letzte Diktator Europas" – so sein Spitzname im Westen – wird wohl mindestens noch fünf Jahre im Amt bleiben. (André Ballin, 9.10.2015)