STANDARD: Gemeinsam mit anderen Vertretern der Opposition treten Sie für einen Boykott der Wahlen ein. Warum?

Statkewitsch: Wir wollen den Wählern und auch der internationalen Gemeinschaft klarmachen, dass es eigentlich keine Wahlen gibt. Es treten nur Fakekandidaten an. Wir werden viele kleine "ploschtschas" ("Plätze", Protestveranstaltungen, ähnlich dem Maidan in der Ukraine, Anm.) veranstalten.

STANDARD: Aber gerade nach den Ereignissen in der Ukraine scheint die Protestbereitschaft unter den Weißrussen sehr gering zu sein.

Statkewitsch: Der Maidan und der "ploschtscha", das sind zwei Paar Schuhe. Wir waren immer Anhänger friedlicher Proteste. Es ist Sache des Regimes, wie es darauf reagiert. Wenn sie wieder Leute einsperren, dann wird das die Legitimität des Präsidenten noch mehr infrage stellen. Jetzt gibt es Wahlen, und Lukaschenko will Legitimität. Deswegen gibt es jetzt einen gewissen Handlungskorridor.

STANDARD: Die Lage für die Opposition gilt dennoch als aussichtslos. Was rechnen Sie sich aus?

Statkewitsch: Wir wollen die Angst vermindern und den Leuten klarmachen, dass es ihr Recht ist, sich auf den Straßen zu versammeln. Bei uns geht man nicht wegen sozialer Forderungen auf den Platz, sondern für die Freiheit. Ich gehe dorthin, um mir selbst und meinen Nächsten zu zeigen, dass ich ein Mensch bin. Und dass ich eine Würde habe. Selbst dann, wenn es hoffnungslos ist, und ich geschlagen und verhaftet werde.

STANDARD: Derzeit scheint die Opposition aber hauptsächlich die einzige Kandidatin der demokratischen Opposition, Tatjana Korotkewitsch, zu torpedieren. Warum unterstützen Sie sie nicht?

Statkewitsch: Sie ist keine unabhängige Figur, sondern eine Marionette von Andrej Dmitrijew (Oppositionsbewegung "Hawary Praudu", Anm). Der Plan, der jetzt realisiert wird, ist der Plan des belarussischen Geheimdienstes KGB.

STANDARD: Diese Ansicht wird nur von einem Teil der Opposition geteilt. Warum ist die Opposition derart zerstritten?

Statkewitsch: Heute ist die Opposition gespalten in diejenige, die das Spiel von Lukaschenko mitspielt, und diejenige, die wirklich für Demokratie kämpft. Wir sind nicht einverstanden damit, uns instrumentalisieren zu lassen. Seit ich wieder frei bin, habe ich eine gewisse moralische Autorität – und deswegen ist es mir gelungen, Vertreter der Opposition zum Boykott der Wahlen zu versammeln.

STANDARD: Ihre Freilassung war eine Forderung der EU. Jetzt wird über eine Aufhebung der Sanktionen spekuliert. Was sollte die EU Ihrer Meinung nach tun?

Statkewitsch: Die EU sollte sich ihrer Prinzipien bewusst sein. Ich sage immer: Haltet eure Position! Wenn ihr eure Ideale nicht einhält, dann signalisiert ihr der belarussischen Gesellschaft, dass es auch in der EU keine Prinzipien und keine echte Demokratie gibt.

STANDARD: Es wird spekuliert, das Szenario von 2010 könnte sich wiederholen: Liberalisierung vor den Wahlen, Repressionen danach.

Statkewitsch: Es gibt und gab keine Liberalisierung.

STANDARD: Was hat sich in Weißrussland seit 2010 verändert?

Statkewitsch: Als ich freigelassen wurde, bin ich in den Bus nach Minsk gestiegen und habe meine ersten Telefonate geführt. Als die anderen Passagiere gemerkt haben, wer ich bin, hat der gesamte Bus geschwiegen. Man konnte die Angst spüren. Ich habe gedacht: Zum Teufel, in welches Land bin ich da zurückgekehrt? Die Gesellschaft ist heute viel verängstigter.