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In einem überfüllten Schlauchboot reisen Flüchtlinge von der Türkei kommend zur Insel Lesbos. Fast 400.000 Menschen sind im laufenden Jahr alleine in Griechenland angekommen.

Foto: APA / EPA / Zoltan Balogh

564.031 Migranten und Flüchtlinge sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im laufenden Jahr (Stichtag: 7. Oktober) auf das Gebiet der Europäischen Union gekommen. Sie reisten vor allem in vier Länder – Griechenland, Italien, Malta und Spanien – ein.

Den größten Ansturm aber verzeichnete Griechenland (11 Millionen Einwohner) mit fast 400.000 Menschen, die aus der Türkei kommend auf einer der Inseln ankamen. Die meisten reisten auf der Balkanroute weiter, durch Österreich, in die Hauptzielländer Deutschland und auch Schweden.

Explosionsartiges Anwachsen

Das explosionsartige Anwachsen der Flüchtlingszahlen aus Syrien, aus dem Irak und Afghanistan auf dieser Route und insbesondere in Deutschland hat die heiklen Balancen in der Asyl- und Migrationspolitik der EU-Staaten seit August vollkommen ins Wanken gebracht. Die konkreten Folgen davon und erste weitreichende Beschlüsse dazu gab es am Donnerstag beim EU-Innenministerrat in Luxemburg – ganz auf der Linie der Vorgaben, die die Regierungschefs beim EU-Sondergipfel im September sowie die EU-Kommission vorgelegt hatten.

Die größte Änderung: Um "ausreichend Platz" für echte Kriegsflüchtlinge zu schaffen, wie die österreichische Ministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte, würden die EU-Staaten gemeinsam ein Maßnahmenpaket ergreifen, das eine "effizientere Rückführung" von abgelehnten Asylwerbern in ihre Einreise- bzw. Herkunftsländer erlaubt. Sprich: Bisher werden EU-weit nur 40 Prozent von Asylwerbern, die keinen Aufenthaltstitel gemäß der Genfer Konvention bekommen, abgeschoben, sechs von zehn bleiben in den Antragsländern.

Quote

Diese Abschiebungsquote soll deutlich nach oben angehoben werden. Die Grenzschutzbehörde Frontex erhält eine eigene Abteilung, die für Abschiebung zuständig ist, es soll gemeinsame Flüge zur Rückführung geben. Gleichzeitig wollen die EU-Länder die Außengrenzen deutlich stärken und mit Erstaufnahmestellen ("Hotspots") in Griechenland und Italien dafür sorgen, dass gar nicht erst allzu viele Migrationswillige in die Union gelangen, die kaum eine Chance auf Asyl haben.

Die EU-Kommission hat bereits 800 Millionen Euro zur Einrichtung solcher Zentren eingeplant. Die EU-Innenminister beschlossen zudem, dass 670 Beamte bereitgestellt werden. Ihre Aufgabe: Registrierung der Flüchtlinge, Abnahme von Fingerprints, Verteilung auf die EU-Länder. 160.000 Menschen sollen in den kommenden Monaten verteilt werden.

EU-Ratspräsident Jean Asselborn sagte dem Standard, die Staaten müssten die Beschlüsse bis 16. Oktober umsetzen. Er hoffe, dass in Griechenland bereits im November ein Hotspot arbeitsfähig sei, bis zu fünf Stellen dürfte es noch bis Jahresende geben, drei auch in Italien.

Was nun die Abschiebungen betrifft, herrscht bei den EU-Innenministern jedoch Uneinigkeit, wohin abgelehnte Asylwerber zurückgeschoben werden können. Bei der Türkei, die neben Griechenland zum Schlüsselland geworden ist, legen sich Deutschland und Frankreich quer wegen der Menschenrechtsverletzungen und der Kurdenverfolgungen – anders als bei den sechs Balkanländern Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Mazedonien und Serbien. Migrationswillige aus Balkanstaaten dürften also die Ersten sein, die aus dem EU-Raum schon sehr bald konsequent zurückgewiesen werden.

Die Türkei, wo derzeit rund 2,3 Millionen geflohene Syrer leben, bleibt ein Sonderfall. Asselborn hofft, dass man beim Status des "sicheren Drittlandes" nach den Wahlen am 1. November eine Lösung findet. Bis dahin werde das schwer sein. Daran hängt aber der EU-Kooperationsvorschlag zur Kontrolle der EU-Außengrenze. (Thomas Mayer, 8.10.2015)