Art-brut-Sammlerin Hannah Rieger wohnt inmitten ihrer Kunst im 19. Bezirk. Sogar das Badezimmer dient als Ausstellungsraum. Nichts stört die Kunst hier. Einzig zusätzlicher Platz fehlt, erfuhr Franziska Zoidl.

"Diese Wohnung hat 108 m² und ist in einem Haus aus den 1930er-Jahren gelegen. Meine Eltern haben sie 1981 gekauft und großteils vermietet. 1996 haben sie sie mir geschenkt.

Teppiche und Möbel dürfen die Kunst nicht stören, sagt Hannah Rieger, die seit 1991 Art brut sammelt. Das Bild rechts stammt von Oswald Tschirtner, einem ihrer Lieblingskünstler.
Foto: Lisi Specht

Sie liegt in Glanzing, direkt an der Grenze zwischen 18. und 19. Bezirk. Glanzing gehört historisch zu Neustift am Walde und ist bekannt für Bauern, Wein und Heurige. Wer zu mir kommt, interessiert sich aber wohl mehr für Art brut. 1991 kaufte ich das erste Bild, und meine Art zu wohnen hat sich seither fundamental verändert: Wohnen ist bei mir heute in erster Linie ein Zuhause für die Kunst. Andere Menschen würden aus diesen zwei Zimmern beispielsweise möglicherweise ein großes machen. Ich nicht: Je kleinteiliger eine Wohnung, desto mehr Wände und desto mehr Platz für meine Bilder.

Bei mir wird alles der Kunst untergeordnet: Die Teppiche habe ich zum Beispiel so ausgewählt, dass sie die Kunst besser zur Geltung kommen lassen – oder zumindest nicht stören. Auch bei Möbeln leitet mich die Frage: Was passt zur Kunst? Mir ist es wichtig, dass sich in der Wohnung nichts ansammelt, ich nichts anräume – das mag in einem Gegensatz zu meiner Sammlertätigkeit stehen. Aber mit der Art brut mache ich eben die große Ausnahme in meinem Leben.

In diesem Raum halte ich mich wohl am meisten auf. Hier ist alles sehr funktional, es wird viel gearbeitet, Kunden kommen hierher, um gecoacht zu werden. Das einzige Möbelstück, das mir wirklich am Herzen liegt, ist eine eisenbeschlagene Truhe im Vorzimmer. Sie war ein Geschenk von meinem Vater, stammt aus der Nähe von Neu-Delhi und ist 100 Jahre alt. Ich bewahre darin kleine Bilder auf, die sonst keinen Platz finden.

Weil mich viele Leute besuchen, um sich die Kunstwerke anzuschauen, gibt es in meiner Wohnung keine Tabus. Jeder darf in alle Räume schauen. Ich habe sogar Bilder in meinem Badezimmer hängen. Damit sie keinen Schaden nehmen, werden sie mit einer speziellen Folie geschützt. Ich versuche außerdem, möglichst rasch zu duschen. Exzessive Dampfbäder gibt es bei mir nicht. Auch in der Küche hängen Bilder. Aber in dieser Wohnung koche ich ohnehin nicht so viel.

Mir ist der Altbau-Charakter in meinem Zuhause wichtig. Die ursprünglichen Fenster und der originale Parkettboden blieben bei diversen Renovierungen Gott sei Dank erhalten. Einst war das hier eine Villa im Grünen und unglaublich schön. Mittlerweile kann man aber beobachten, wie die Gegend erodiert, weil jeder Zentimeter verbaut wird. Früher schaute ich von meinem Schlafzimmer auf einen Magnolienbaum, jetzt befindet sich dort die Einfahrt zu einer Garage.

Das hat zu meinem Entschluss geführt, ein Haus im Weinviertel, das ich von meinem Vater geerbt habe, auch zu nutzen. Ich habe eine geteilte Wohnsituation – ich arbeite hier, wohne unter der Woche teilweise hier, bin aber ein bisschen zur Pendlerin geworden.

Kunst ist für mich jedenfalls nichts Statisches: Der Markt ist derzeit einem Hype unterworfen, die Preise für Art brut sind international verrückt geworden. Ich muss also lange dafür sparen, mir ein neues Bild zu kaufen. Aber wenn ich dann etwas kaufe, dann muss das aufgehängt werden. Das bedeutet, dass ich Bilder umhängen und abnehmen muss, und ist oft sehr kompliziert. Durch das Umhängen verändert sich permanent der Charakter meiner Wohnung.

Alle meine rund 370 Bilder kann ich unmöglich aufhängen. Ich hätte darum gerne ein riesiges Loft wie in der ehemaligen Ankerbrotfabrik. Aber das wird sich finanziell in diesem Leben wohl nicht mehr ausgehen." (12.10.2015)