Im Dokumentarfilm "Nicht alles schlucken" kommen Psychiatriepatienten, Angehörige sowie Ärzte und Pfleger zu Wort.

foto: credo film

Der Film fand in Österreich keinen Kinoverleih, ist aber im Fachhandel auf DVD erhältlich.

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"Ich bin herumgelaufen wie ein Zombie, apathisch, eingeschränkt. Ich war so fertig mit der Welt, dass ich ein halbes Jahr lang 16 bis 20 Stunden am Tag geschlafen habe": Die Rede ist hier von Psychopharmaka, die im Mittelpunkt des Dokumentarfilms "Nicht alles schlucken" stehen. Darin berichten 23 Psychiatrie-Erfahrene, Angehörige und Fachkräfte über ihre Erfahrungen mit Antidepressiva, Neuroleptika und Co. – und leider, das ist das größte Problem des Films, ist die Darstellung überaus einseitig.

"Mein schönes Leben, wo ist es hin? Ich spür' es nicht mehr", zitiert ein Mann seine depressive, mit Medikamenten therapierte Ehefrau. Ein anderer – seine Erkrankung bleibt unklar – berichtet von einer Dosis, "die einen einfach plattmacht". Und ein dritter, der seit Jahren an Schizophrenie leidet, erlebte seine Medikation bei der Aufnahme in die Psychiatrie gar als "großflächiges Bombardement. Das funktioniert – im ersten Moment."

Betroffene zu Wort kommen lassen

Es ist gut und wichtig, über den Umgang mit psychisch Kranken und deren Medikation zu sprechen, viel mehr noch, die Betroffenen und ihre Helfer zu Wort kommen zu lassen. Das gelang unlängst dem heimischen Dokumentarfilm "Wie die anderen", auch der Buchautor David Foster Wallace fand erschütternd ehrliche Worte für sein Leben vor und nach den Antidepressiva.

Auch im deutschen Dokumentarfilm "Nicht alles schlucken" kommen Patienten, jung und alt, zu Wort. Sie erzählen eindringlich, mitunter unter Tränen, von Nebenwirkungen, riskantem Entzug, Überdosierungen und Verabreichungen wider Willen – Probleme, die es allesamt gibt und über die man reden sollte. Nur leider bleibt die Darstellung äußerst undifferenziert. Als einzig gangbare Alternative propagiert der Film den Verzicht auf Medikamente, obwohl manch ein Patient immerhin einräumt, sich ein Leben ohne solche nicht mehr vorstellen zu können.

Hohle Phrasen

Noch am besten gelungen sind, vor allem im ersten Drittel, die Beschreibungen des Innenlebens der Kranken, über deren Gefühle man einiges erfährt, während vieles (Diagnosen, Hintergründe, Therapie) dennoch im Dunkeln bleibt. Problematisch ist, dass aus Einzelschicksalen Rückschlüsse auf die gesamte Psychiatrie gezogen werden. Kommentare wie "Eine Therapie braucht einfach viel Zeit – und die nimmt man sich kaum mehr" mögen durchaus richtig sein, bleiben aber hohle Phrasen ohne weitere Ausführungen.

Zudem entspinnt sich zwischen Patienten, Angehörigen und Psychiatriepersonal, allesamt in derselben, wenn auch reichlich künstlich wirkenden Gesprächsrunde, kein Dialog, sondern es bleibt bei unkommentierten Einzelerfahrungen. Eine Psychiaterin berichtet von "einem Haufen Angst" auf beiden Seiten, wenn sie im Zuge einer Zwangsmedikation heftig beschimpft wird. Ein Krankenpfleger erzählt, wie schwierig es ist, einen Patienten dazu zu bringen, Medikamente gegen seinen Willen einzunehmen. Was man aber anders, besser machen sollte, bleibt verborgen.

Fakt ist: Bei weitem nicht jeder psychisch Kranke braucht Medikamente. Fakt ist aber auch: Manchmal geht es nicht ohne. Dass Psychopharmaka in der Psychiatrie bei weitem nicht die einzige Therapiemaßnahme sind (im Gegenteil), dass heute bessere und feiner ausdifferenzierte Medikamente denn je verabreicht werden und dass es vielen Patienten ohne solche noch viel schlechter ginge, wird im Film unterschlagen. Schade. So fischt "Nicht alles schlucken" in derselben trüben Suppe, die seine Protagonisten glaubwürdig der ständigen Omnipräsenz der Tabletten zuschreiben: "Ein Nebel der Lügen, eine Wolke der Betrübung." (Florian Bayer, 19.10.2015)