Kathmandu/Berlin – Noch im vergangenen Jahr hatten die Menschen Narendra Modi zugejubelt. Nun verbrennen junge Nepalesen wutentbrannt Puppen mit dem Konterfei von Indiens Premierminister und skandieren "Nieder mit Modi". Selten war man in Nepal so sauer auf den "großen Bruder" wie derzeit. Noch immer kämpft der Himalajastaat mit den Folgen des furchtbaren Erdbebens im April, nun leidet er auch noch unter einer Handelsblockade.
Seit fast drei Wochen kommen kaum noch überlebenswichtige Güter über die Grenze. 5000 Lastwagen stauen sich auf der indischen Seite. Nepals Finanzminister Ram Sharan Mahat warnt bereits vor einer "humanitären Krise": "Benzin, Gas, Medikamente – alles wird knapp." Die Engpässe sind so dramatisch, dass Kathmandu nun sogar erwägt, Benzin aus Bangladesch oder einem anderen Drittland einzufliegen.
Flüge gestrichen
Vor den Tankstellen bilden sich kilometerlange Schlangen, dabei bekommen ohnehin nur noch Taxis, Busse und Krankenwagen Benzin. Die wenigen Busse sind so überfüllt, dass die Menschen auf den Dächern sitzen müssen. Spitälern auf dem Land gehen die Arzneien aus. Fluggesellschaften müssen Zwischenstopps einlegen oder gar Flüge streichen, weil die Maschinen in Kathmandu nicht mehr tanken können. Und das mitten in der touristischen Hochsaison, von der sich das Land einen Schub erhofft hatte.
Für die meisten Nepalesen besteht kein Zweifel, wer hinter der Krise steckt. "Die allgemeine Wahrnehmung ist, dass Indien für die Blockade verantwortlich ist", schreibt etwa die Kathmandu Post. Indien stoppe die Lkws, um Nepal gefügig zu machen. Das weist Neu-Delhi von sich. "Es gibt weder eine offizielle noch eine inoffizielle Blockade", erklärt der Sprecher des Außenministeriums, Vikas Swarup. Vielmehr würden die Fahrer nicht fahren, weil es auf nepalesischer Seite seit Wochen Ausschreitungen gebe.
Dort protestiert bereits wochenlang die Volksgruppe der Madhesi. Der Ärger begann mit der neuen Verfassung, die Nepal am 20. September verabschiedet hatte. Diese stößt bei den Madhesi auf erbitterten Widerstand, weil sie ihnen keine eigene Provinz zugesteht. Sie fürchten, dass sie durch den neuen Zuschnitt kaum noch im Parlament vertreten sind und ausgegrenzt werden. Die Madhesi, die im südlichen Tiefland leben und etwa 30 Prozent der rund 27 Millionen Nepalesen stellen, sind eng verbunden mit den Menschen jenseits der Grenze in Bihar und Uttar Pradesh.
Route nach China verschüttet
Die Madhesi-Proteste würden von Indien dirigiert, vermutet die Nepali Times. Der Nachbar verlangt von Kathmandu, eine – so Neu-Delhi – "integrative" Verfassung, welche die Mitsprache der Madhesi stärkt. Nepal fühlt sich erpresst. Die kleine Republik, die eingezwängt zwischen Indien und China im Himalaja liegt, ist abhängig von Neu-Delhi: 63 Prozent aller Güter kommen auf dem Landweg aus Indien. Die Handelsroute, die nach China führte, wurde während des Erdbebens im April verschüttet.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Riese Indien zu solchen Methoden greift, um den kleinen Nachbarn zu beeinflussen. Bereits 1989 hatte die linke Kongressregierung von Rajiv Gandhi das Land, das zu den 20 ärmsten Staaten der Welt gehört, mehr als 13 Monate ausgehungert, weil man politisch über Kreuz lag. "Wir brachten Benzin aus Bangladesch herein", erinnert sich der damalige Handelsminister Nar Bahadur Budhathoki.
Annäherung an China möglich
Historisch war Nepal immer enger mit Indien verbunden als mit China. Seit einigen Jahren nimmt Pekings Einfluss aber zu. Die "Holzhammer-Diplomatie", wie es Medien nennen, könnte Nepal weiter in die Arme Chinas treiben. Im Volk wächst die Anti-Indien-Stimmung. "Die Wut wird von Tag zu Tag größer", schreibt die Kathmandu Post. Alle indischen TV-Kanäle wurden bereits aus dem Programm verbannt.
Selbst Politiker, die bisher zu Indien standen, wollen nun die Handelswege nach China ausbauen, um sich aus dem Würgegriff Neu-Delhis zu befreien. "Die Krise lehrt uns, dass wir mehr Alternativen brauchen", sagte auch Finanzminister Mahat. "Aber das braucht Zeit." (Christine Möllhoff, 11.10.2015)