In Abständen von hundert Metern stehen die Schiffe der griechischen Küstenwache vor der Insel Lesbos. Sie sollen die Zufahrt der Flüchtlingsboote verhindern, erzählen freiwillige Helfer vor Ort, die mit ankommenden Flüchtlingen in Kontakt sind. Eine offizielle Bestätigung, dass die Behörden die Boote mit den Menschen zum Umdrehen bewegen, gibt es nicht, doch laut namhafter NGOs spricht viel für die Echtheit des Informationen.

So würden untertags nur noch ein paar hundert Flüchtlinge – und nicht wie die Tage davor Tausende – die Strände der griechischen Insel erreichen. Dafür würde vor allem in der Nacht, wenn die Schiffe nicht mehr in ständigem Einsatz sind, die Zahl der Ankommenden steigen. Das berichtet auch Yves Wailly, Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen auf der Insel.

Starker Wind und unruhige See

Die Hilfsorganisation, die vor allem in der Hauptstadt Mitilini tätig ist, hat deshalb ihre Aktivitäten in der Nacht verstärkt. Zwar sei die Zahl der Behandlungen laut Wailly in den vergangenen Tagen nicht gestiegen, doch befürchtet man, dass bald Flüchtlinge mit schlimmeren Verletzungen ankommen könnten. Das Wetter wird sich in den kommenden Wochen verschlechtern. Starker Wind und unruhige See bedeuten mehr Gefahren für die Menschen auf den teils brüchigen Booten. Vor allem, wenn die Menschen auf den Booten zum Umkehren gezwungen würden, würde das laut Wailly bedeuten, dass sie "größeren Gefahren ausgesetzt wären". Es gäbe Berichte darüber, dass die Flüchtlinge mehrere Versuchen unternehmen würden, Griechenland zu erreichen.

Obdachlos auf Lesbos

Von Donnerstag auf Freitag haben die griechischen Behörden zudem die Registrierung der Schutzsuchenden in dem Lager Kara Tepe eingestellt. Alle Personen müssen sich in das rund drei Kilometer entfernte Lager Moria begeben, um sich offiziell registrieren zu lassen. Hilfsorganisationen befürchten, dass die rund 3.000 Flüchtlinge in Kara Tepe dauerhaft nach Moria übersiedeln könnten, wodurch das Lager mit den bereits vorhandenen 3.000 Menschen überfüllt wäre. Bereits jetzt schlafen Schutzsuchende teilweise ohne Decken und Behausung auf den Straßen von Lesbos. "Noch sind die Temperaturen erträglich, doch das wird sich bald ändern", sagte Wailly und hofft auf Hilfe durch die Behörden.

Am Freitag veröffentlichte die Internationale Organisation für Migration (IOM) Zahlen, wonach in der vergangenen Woche rund 7.000 Menschen täglich die griechischen Inseln erreichten – mehr als das Ende September mit etwa 4.500 Ankünften pro Tag der Fall gewesen war. Gleichzeitig ist aber laut IOM die Aufenthaltsdauer der Schutzsuchenden gefallen, da rund 70 Prozent der ankommenden Menschen vergangene Woche Griechenland Richtung Norden verlassen haben.

Neue EU-Küstenwache geplant

Die EU soll bald eine eigene Küstenwache zum Schutz der Außengrenzen bekommen, die über bisherige nationale Zusammenarbeit im Rahmen der Koordinierungsstelle Frontex weit hinausgeht. "Eine solche würde über mehr eigenes Personal, aber auch über mehr Budget verfügen" als Frontex selbst, bestätigte ein Experte dem STANDARD Vorschläge, die gerade für den EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs kommende Woche erarbeitet werden. Frankreich drängt sogar auf die Aufstellung eines gemeinsamen "Grenzschutzkorps", das EU-weit tätig sein könnte – ausgestattet mit transnationalen Kompetenzen. Es wäre "ein großer Schritt nach vorn", wenn das beschlossen wird, heißt es in Brüssel. (red, Bianca Blei, 9.10.2015)