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Homeoffice beider Partner kann zu einer faireren Aufteilung der häuslichen Aufgaben führen

Foto: REUTERS/JIM YOUNG

Frankfurt/Wien – Digitales Arbeiten könnte dazu beitragen, traditionelle Geschlechterrollen in Familien aufzubrechen. Das legen Untersuchungen eines deutschen Forscherteams rund um die Soziologin und Wirtschaftswissenschafterin Annette Kirschenbauer nahe. "Es gibt hier ein Potenzial für mehr gesellschaftliche Chancengleichheit."

In Interviews mit 50 Arbeitnehmern, Geschäftsführern und Experten untersuchten die Wissenschafter, wie sich digitale Technologien auf Arbeitsweisen, Arbeitsstrukturen und schließlich auch auf die Organisation von Privatleben auswirken. Dabei fanden sie einerseits heraus, dass einige Arbeitnehmer flexibles Arbeiten als große Belastung empfinden. "Von ihnen wird verlangt, auch spätabends erreichbar zu sein, was natürlich eine Work-Life-Balance verunmöglicht."

Arbeitsort ändert Haushaltsführung

Anderen wiederum würden zeit- und ortsunabhängige Arbeitsformen dabei helfen, Beruf und privat besser vereinbaren zu können. Denn: Sind sowohl der Mann als auch die Frau in einem Haushalt berufstätig und können auch außerhalb des Büros, zu flexiblen Zeiten arbeiten, ändere sich, wie Kirschenbauer in ihrer Studie herausfand, häufig auch die Aufgabenverteilung zwischen ihnen: "Beide arbeiten zwar 40 Stunden, können sich die Zeit aber individuell einteilen. Dadurch ist es nicht immer nur die Frau, die sich um die Kinder und die Haushaltsführung kümmert oder Pflegetätigkeiten übernimmt, sondern auch einmal der Mann."

Die Digitalisierung würde aber nicht nur durch flexiblere Arbeitsformen, sondern auch durch neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu mehr Chancengleichheit beitragen können. Die sogenannte Netzarbeit – bei der Freiberufler kurzfristig Arbeitsaufträge übernehmen, die ihnen auf einer Internetplattform angeboten werden – biete insbesondere für qualifizierte Frauen, die sonst vielleicht gar nicht am Erwerbsleben teilnehmen könnten oder würden, eine neue Erwerbsmöglichkeit. Wie die Ergebnisse von Kirschenbauers Recherchen zeigen, würden bereits viele Firmen Angestelltentätigkeiten an Netzarbeiter delegieren.

Viele Netzarbeiterinnen

Der Kritik vieler Gewerkschaften an deren prekären Arbeitsbedingungen hält Kirschenbauer entgegen: "Viele entscheiden sich aus freien Stücken für diese Form der Tätigkeit, um möglichst identitätsstiftend arbeiten zu können". Auch der Wunsch nach Unabhängigkeit spiele bei dieser Entscheidung eine große Rolle.

Unter den Netzarbeitern seien vermehrt Frauen, die mehrere Aufgaben unter einen Hut bringen wollen. Und besonders auch Vertreter und Vertreterinnen der Generation Y oder "digitalen Boheme". "Ihnen ist es besonders wichtig, nicht gebunden zu sein und privat und Beruf möglichst gut vereinbaren zu können", sagt Kirschenbauer.

Langsam, aber doch?

Insgesamt, so die Einschätzung der Wissenschafterin, würde die wünschenswerte Entwicklung hin zu mehr Chancengleichheit durch digitale Arbeit nur "ganz langsam" vonstattengehen. "Eine Trägheit, die im Gegensatz zur rasanten Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten steht."

Unternehmen seien daher gefordert, eine entsprechende Kultur zu schaffen, die digitales und flexibles Arbeiten stärker forciert, und sich dabei möglichst den "individuellen Bedürfnissen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen anzupassen". Der Appell an Chefs: von Mitarbeitern keine ständige Erreichbarkeit zu fordern.

Schließlich sei auch die Politik gefragt. Sie müsse sich um entsprechende arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen für Netzarbeiter bemühen, sagt Kirschenbauer. (Lisa Breit, 10.10.2015)