Weil das Poliovirus noch nicht ausgerottet ist, kann es sich jederzeit wieder zurückmelden. Das ist laut Wiener Virologinnen vor kurzem in der Ukraine geschehen. Der Grund dafür sind unzureichende Impfraten, welche in seltenen Fällen die Zirkulation auch von Impfviren ermöglichen.
"Das ursprünglich angestrebte Ziel, das Poliovirus weltweit bis zum Jahr 2000 auszurotten, konnte bisher trotz größter strategischer und finanzieller Anstrengungen leider noch immer nicht ganz erreicht werden" schrieben jetzt Eva Geringer und Heidemarie Holzmann vom Department für Virologie der Med-Uni Wien in den Virusepidemiologischen Informationen.
Seit dem Start des weltweiten Polio-Eradikationsprogramms im Jahr 1988 gingen die Polio-Wildvirusfälle weltweit um 99,9 Prozent zurück. Der amerikanische Kontinent gelte seit 1994, der westpazifische Raum seit 2000 als poliofrei, seit 2002 auch die WHO-Region Europa. Seit 2013 zirkuliert nur noch das Polio-Wildvirus vom Typ 1. Dieses kommt endemisch nur noch in Pakistan, Afghanistan und Nigeria vor. Ein Positivum: In diesem Jahr wurden "nur" noch aus Pakistan und Afghanistan neue Fälle gemeldet.
Folge niedriger Impfraten
Doch wenn die Impfraten niedrig sind, gibt es nicht nur ein Risiko durch die Wildviren. Der für die Ausrottung der Polio verwendete und leicht anzuwendende Lebend-Impfstoff (Sabin/Schluckimpfung) kann selbst ein Problem darstellen. Die Virologinnen schrieben dazu: "Die oral aufgenommenen Impfviren vermehren sich im Darm, werden über sechs bis acht Wochen mit dem Stuhl ausgeschieden und können auf andere Menschen übertragen werden."
In sehr seltenen Fällen können die abgeschwächten Viren dabei durch eine Serie von (Rück-)Mutationen wieder Krankheit-erzeugende Merkmale erwerben und selbst wieder zum Ausgangspunkt von Polioausbrüchen werden. Eva Geringer und Heidemarie Holzmann führte aus: "Diese Mutationen können vor allem dann entstehen, wenn die Impfviren zwischen empfänglichen Personen über einen längeren Zeitraum (mindestens ein Jahr; Anm.) zirkulieren." Das wiederum ist nur der Fall, wenn es in der entsprechenden Bevölkerung keinen ausreichenden Impfschutz gibt.
In der Ukraine war das offenbar der Fall. "Anfang September des heurigen Jahres gab die WHO bekannt, dass im Südwesten der Ukraine zwei Fälle von paralytischen cVDPV-Typ1-Infektionen bestätigt worden waren, und zwar bei einem vierjährigen und einem zehn Monate alten Kind. Dies erscheint wenig verwunderlich, da die Durchimpfungsraten in der Ukraine in den letzten Jahren stark gesunken sind. Laut WHO und UNICEF waren in der Ukraine im Jahr 2014 nur 50 Prozent aller Kinder vollständig gegen Polio (sowie andere impfpräventable Erkrankungen; Anm.) geimpft."
Kein Monitoring-System
Hinzu kommt, dass in der Ukraine auch das Krankheitsüberwachungssystem nicht mehr ausreichend funktioniert. Dadurch kann es zu einer weiteren Ausbreitung kommen, wobei bei vielen Infizierten keine Symptome auftreten. Dies macht die Überwachung schwierig. Die WHO will die Impfraten dort deutlich erhöhen, um die Gefährdung einer Ausbreitung zu senken.
"Das Risiko einer Übertragung des cVDPV1-Stammes wird vor allem für die angrenzenden Gebiete der vier Nachbarländer (Rumänien, Polen, Ungarn, Slowakei; Am.) als relevant angesehen, und zwar wiederum vor allem für Bevölkerungsgruppen mit schlechten Durchimpfungsraten", stellten die Virologinnen fest. Generell werde die Polio-Durchimpfungsrate innerhalb der EU als zufriedenstellend eingeschätzt. Ärzte sollten auch in Österreich wachsam sein, um eventuell auftretende symptomatische Infektionen sofort zu erkennen. (APA, 12.10.2015)