Ouagadougou – Überall auf dem Friedhof von Dagnoen, einem Stadtteil von Ouagadougou, steht das Wasser, und der Boden schmatzt bei jedem Schritt. Pierre Tietiamyire Tietiam, Serge Bayala und ihre Freunde stört das nicht. Für die jungen Studenten und Aktivisten aus Burkina Faso ist es selbstverständlich, regelmäßig am einstigen Grab ihres Helden vorbeizuschauen. Dort, wo Thomas Sankara – Afrikas Che Guevara – noch bis vor ein paar Monaten bestattet war, sind jetzt zwar nur noch zwei große Pfützen zu sehen. Doch der 23-jährige Bayala wird sogar ein wenig feierlich, als er die Stelle erreicht: "Das Grab ist zwar nicht mehr da. Aber sein Geist."

Bild nicht mehr verfügbar.

Am 25. Mai 2015 wurden am Friedhof von Dagnoen die Leichname von Thomas Sankara und einigen seiner Mitstreiter exhumiert.
Foto: AP/Renaut

Die Leiche von Sankara wurde im Frühjahr schon zur Exhumierung abgeholt. Seine Witwe Mariam, die beiden Kinder, Freunde und Weggefährten wollten wissen, ob der einstige Machthaber tatsächlich in Dagnoen begraben wurde. Schließlich gilt dessen Tod am 15. Oktober 1987, nach der Langzeitpräsident Blaise Compaoré an die Macht kam, bis heute als seltsam und nie richtig aufgeklärt. Genau das heizte den Mythos Sankara immer weiter an. Nun beweist ein Bericht, was man immer schon vermutet hat: Sankara starb keines "natürlichen Todes", wie der Militärarzt damals bescheinigt hatte. Der Leichnam sei "von Kugeln durchsiebt" worden, sagte einer der Anwälte der Hinterbliebenen, Ambroise Farama, am Dienstag in Ouagadougou. Das Ergebnis von DNA-Untersuchungen in Frankreich müsse aber noch abgewartet werden, um abschließend zu klären, dass es sich bei dem untersuchten Leichnam um den Ex-Präsidenten handelt. Sankara war am 15. Oktober 1987 nach vier Jahren an der Macht getötet worden. Der Militärarzt muss sich nun wohl vor Gericht verantworten.

Den Jungen ein Vorbild

Hauptsächlich bei jungen Menschen erlebt der General, der am 4. August 1983 nach einem Staatsstreich an die Macht gekommen ist, eine ungeahnte Renaissance. Egal, wen man fragt: Der Sozialist gilt als der Held von Burkina Faso. Auch Serge Bayala ist ein glühender Anhänger und will Sankaras Ideen weiterleben lassen. "Wir kämpfen weiter für die Menschenrechte und auch die Rechte der Frauen, der Kinder, der Alten. Wir machen uns stark für eine faire Verteilung der öffentlichen Gelder."

Bei Lippenbekenntnissen soll es nicht bleiben, und die jungen Leute schlendern zu einer großen, unbebauten Fläche, die direkt neben dem Friedhof liegt. Ein paar Jungen spielen im strömenden Regen Fußball. Pierre Tietiamyire Tietiam schaut einmal von links nach rechts und dann wieder zurück. "Hier wollen wir es bauen", sagt der 24-Jährige und meint das Thomas-Sankara-Zentrum. Bisher gibt es dafür zwar weder Gelder noch einen Bebauungsplan. Daher ist ein wenig Fantasie notwendig, um sich die Zukunft des großen Platzes vorzustellen.

Ort der Begegnung

Doch an Ideen mangelt es nicht. So könnte eine Bibliothek eingerichtet werden, ein kleiner Sportplatz, ein Amphitheater. Kurzum: Es soll ein Ort der Begegnung werden – für Bewohner des Viertels, Jugendliche, Sportler, Nachwuchskünstler, Politiker. Um das zu realisieren, haben Pierre Tietiamyire Tietiam, Serge Bayala und eine handvoll Mitstreiter die "Initiative Thomas Sankara" gegründet. Dafür haben sie schon bei Stiftungen, Privatpersonen und staatlichen Einrichtungen um Unterstützung gebeten. "Richtige Antworten haben wir aber noch nicht erhalten", bedauert Bayala ein wenig.

Bild nicht mehr verfügbar.

Beim Begräbnis von Opfern der Volksrevolution im Oktober 2014 halten Menschen Fotos von Thomas Sankara (linke Person) und dem kommissarischen burkinischen Regierungschef Isaac Zida.
Foto: Reuters/Penney

Das könnte daran liegen, dass Sankara bei jenen beliebt ist, die zu seiner Regierungszeit noch nicht auf der Welt waren. So erlebt es auch Adama Ouédraogo Damiss, Politikchef der Tageszeitung "Observateur Paalga": "Die ältere Generation spricht nicht besonders viel und gut über Sankara." Zwar würde es stimmen, dass das ehemalige Staatsoberhaupt gegen Korruption gekämpft hat und dafür sorgen wollte, dass sich der Staat nicht bereichert. Allerdings sei seine Politik zu aggressiv gewesen und sorgte mit für den wirtschaftlichen Niedergang des Landes. "Zum Schluss sollten sogar die Gehälter reduziert werden, um die Kosten zu stemmen", sagt der Journalist.

Wahlen am 29. November

In Dagnoen ist Sankara für den Studenten Tietiam trotzdem Modell für einen vorbildlichen Präsidenten geblieben, da er schließlich auch Jugend verkörpert. "Sonst haben doch immer die Alten das Land regiert", klagt Tietiam und meint damit vor allem Blaise Compaoré, Sankaras einstigen Weggefährten, der bis zur Volksrevolution im Oktober 2014 an der Macht war.

Nach einer über einjährigen Übergangsphase wird nun am 29. November ein neuer Präsident gewählt. Fast hatte es kurz so ausgesehen, als würde das Land doch wieder im Chaos versinken. Nach einem Putsch Mitte September wurde aber nach rund einer Woche die entmachtete Führung wieder eingesetzt. Ein zweiter Sankara ist unter den Kandidaten für die Wahl nicht auszumachen, aber auch kein zweiter Compaoré, glaubt Pierre Tietiamyire Tietiam. "So etwas werden wir uns in Burkina Faso nicht mehr bieten lassen." (Katrin Gänsler aus Ouagadougou, 14.10.2015)

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Grab von Thomas Sankara auf dem Friedhof von Dagnoen vor der Exhumierung.
Foto: Reuters/Penney