Tours – Ein Gericht hat einem mit männlichen und weiblichen Merkmalen geborenen Franzosen erlaubt, sein Geschlecht beim Standesamt auf "neutral" ändern zu lassen. "Das Geschlecht, das (ihm) bei der Geburt zugewiesen wurde, erscheint wie eine reine Fiktion", zitierte die Zeitung "20 Minutes" am Mittwoch aus dem Urteil eines Gerichts in der Stadt Tours, rund 200 Kilometer südwestlich von Paris.

Die Anwältin des 64-jährigen Intersexuellen sagte dem Sender France Info, das Urteil vom 20. August sei eine Premiere in Frankreich. Die Staatsanwaltschaft habe aber Berufung eingelegt, deshalb bleibe das offizielle Geschlecht zunächst "männlich".

Hilfe bei Justiz gesucht

Die Gratis-Tageszeitung "20 Minutes" hatte als erstes über den Fall berichtet. Demnach kam der nicht namentlich genannte Hermaphrodit 1951 mit einer kaum entwickelten Vagina und einem "Mikro-Penis", aber ohne Hoden auf die Welt. In seiner Geburtsurkunde wurde trotzdem ein männliches Geschlecht festgehalten. "In meiner Jugend habe ich gemerkt, dass ich kein Bub war", sagte er der Zeitung. "Ich hatte keinen Bart, meine Muskeln wurden nicht stärker."

Mit 35 Jahren wurde ihm Testosteron verschrieben. "Mein Aussehen hat sich geändert, das war ein Schock. Ich habe mich nicht wiedererkannt. Da wurde mir bewusst, dass ich weder ein Mann noch eine Frau bin." Der Zwitter, der inzwischen verheiratet ist und ein Adoptivkind hat, wandte sich schließlich im Sommer an die Justiz, um von den Behörden nicht länger als Mann geführt zu werden.

"Neutrales Geschlecht"

"Er wollte nicht, dass er so eindeutig der Kategorie männlich zugeordnet wird", sagte Staatsanwalt Joel Patard. Die zweite juristische Kategorie weiblich sei aber ebenfalls nicht zutreffend gewesen. Ende August entschied ein Familienrichter in Tours deswegen, ein "neutrales Geschlecht" anzuerkennen.

Patard hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt – er wolle die Einschätzung eines anderen Gerichts erfahren, sagte der Staatsanwalt. Außerdem könne die Justiz nicht die Rolle des Gesetzgebers übernehmen "und Gesetze da schaffen, wo es sie noch nicht gibt". (APA, 14.10.2015)