Evan Wolfson will Antidiskriminierungsbestimmungen, wie es sie in der EU gibt, auch in den USA durchsetzen.

Foto: Regine Hendrich

Wien/New York – In Sachen Homosexuellenrechte gehe es in Österreich derzeit äußerst amerikanisch zu: Mit dieser Aussage lässt Evan Wolfson, Anwalt aus New York sowie Gründer und Präsident der Kampagne "Freedom to marry" (Freiheit zu heiraten), die Ende Juni für Lesben und Schwule das US-weite Recht zu heiraten erkämpft hat, im Gespräch mit dem STANDARD aufhorchen.

Denn wie bis vor kurzem in den USA besteht auch hierzulande die paradoxe Situation, dass Lesben und Schwule zwar als Paare Kinder adoptieren dürfen: Das hat der Verfassungsgerichtshof Anfang 2015 entschieden und der Regierung bis Ende des Jahres Zeit für eine Gesetzesreparatur gegeben. Heiraten jedoch können gleichgeschlechtliche Paare nach wie vor nicht. Nur die eigens für sie ins Leben gerufene eingetragene Partnerschaft steht ihnen offen.

"Zu Kindern zweiter Klasse"

Damit schließe der Staat "die Kinder homosexueller Paare von der Würde, der Sicherheit und dem Schutz aus, die mit einer Ehe der Eltern einhergehen", sagt Wolfson. Das mache sie zu Kindern zweiter Klasse: eine menschenrechtlich inakzeptable Situation. Mit genau diesem Argument, das durch Gutachten von Lehrer-, Psychologen- und anderen Expertenzusammenschlüssen unterfüttert war, haben Wolfson und seine Mitstreiter am 26. Juni 2015 ihren historischen Erfolg errungen. Der Supreme Court, das oberste rechtsprechende Organ der USA, öffnete die Ehe für homosexuelle Paare bundesweit.

Nun "ganz normale Nachbarn"

Damit – so der 58-Jährige, der vom "Time"-Magazine heuer unter die 100 weltweit einflussreichsten Menschen gereiht wurde – sei ein Damm gebrochen. In einer "weit konservativeren Gesellschaft als der europäischen" seien homosexuelle Ehepaare nun "ganz normale Nachbarn, und zwar nicht nur in New York, sondern bald auch in Georgia (das als weit weniger liberal gilt, Anm.)".

Auch Österreich müsse diesen Weg gehen, sagt Wolfson, ebenso alle anderen europäischen Staaten mit fortgesetztem Ehe-Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare. In Österreich mit laut Umfragen bis zu 72-prozentigem Ja zur Gleichstellung in Sachen Heirat sei das gesellschaftliche Klima einem solchen Schritt ohnehin förderlicher als in den USA. Dort seien kurz vor dem Supreme-Court-Spruch bloß 63 Prozent pro Heirat gewesen. Das Wort "Homo-Ehe" als Bezeichnung für den nun gewährten Zugang kommt Wolfson nicht über die Lippen. Seine Kampagne habe vielmehr "für die Ehe insgesamt" gekämpft, sagt er.

Nach Europa, "um zu lernen"

Nach Europa – und im Zuge dessen nach Wien – kam Wolfson unter anderem, "um zu lernen". Konkret von den in der EU im Vergleich zu den USA ausgeprägten Antidiskriminierungsbestimmungen, die auch Lesben, Schwule und Transgenderpersonen schützen; wenn auch in Österreich nur im Jobbereich, nicht als Kunde, zum Beispiel bei Hotelbesuchen oder am Wohnungsmarkt.

Für derlei Schutzbestimmungen will sich Wolfson nach Beendigung der Freedom-to-marry-Kampagne in den USA starkmachen. Der Kampf um gelebte Akzeptanz im Alltag gehe gleichzeitig ohnehin weiter. Bei den Homosexuellenrechten seien die USA und Europa einander ergänzende Gesellschaften, meint er. Man habe erkannt, dass die Lage von Lesben und Schwulen, ebenso wie jene von Frauen, aufzeige, wie es um die Durchsetzung der Menschenrechte insgesamt stehe. (Irene Brickner, 15.10.2015)