Wien – Welthungertag (Freitag), Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut (Samstag), Vergabe des Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften an Angus Deaton, unter anderem für seine Verdienste um die Armutsforschung (Montag): Die Woche brachte gleich mehrere Anlässe, sich das in Zahlen gegossene Elend der Welt in Erinnerung zu rufen. Ein aktueller Bericht der Weltbank zeigt: Noch immer müssen weltweit 700 Millionen Menschen mit weniger als 1,90 Dollar am Tag auskommen. Das ist die aktuelle Messlatte, anhand der extreme Armut definiert wird.
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Eine ernüchternd große Gruppe – in etwa so viel wie die gesamte Bevölkerung Europas –profitiert also nicht von dem, was die internationale Gemeinschaft als großen Erfolg feiert. Die extreme Armut konnte in den vergangenen 20 Jahren nämlich deutlich zurückgedrängt werden: von rund 37 Prozent der Weltbevölkerung im Jahr 1990 auf aktuell rund zehn Prozent.
Vor allem China lieferte Stoff für Erfolgsstorys. Vor 25 Jahren war fast jeder vierte Chinese unterernährt, heute nur mehr jeder zehnte. Dabei wuchs die Bevölkerung in diesem Zeitraum von 1,19 auf 1,43 Milliarden Menschen an. Der Anteil der untergewichtigen Unter-5-Jährigen hat sich nahezu auf ein Viertel reduziert, auf aktuell 3,4 Prozent.
Rechtssicherheit und Marktzutritt
Laut Axel Dreher, Entwicklungsökonom an der Universität Heidelberg, waren vor allem Chinas schrittweise Liberalisierung und die Integration in den Welthandel entscheidend. Von China könne man lernen, ein simples Kopieren sei aber falsch. "Viele kleine Entwicklungsländer hängen viel stärker von den Industrieländern ab als China", sagt Dreher. Die Folge seien einseitige Handelsbeziehungen.
Ohne China und auch Indien würde die Armutsbilanz wesentlich schlechter ausfallen, betont er. Internationale Entwicklungsziele seien zwar wichtig, schon als Bezugsgröße. Die Armutsbekämpfung sei aber von nationalen Politiken getrieben. Zentrale Faktoren seien die Verlässlichkeit der Institutionen eines Landes, Rechtssicherheit und die Bedingungen für Unternehmensgründungen.
Die Entwicklungsziele wurden von der Uno erst kürzlich erneuert. Ein zentrales Kriterium: Bis 2030 soll die extreme Armut vollständig beseitigt werden. Grenzen wie der 1,90-Dollar-Wert – bis September waren es noch 1,25 Dollar – sind nicht unumstritten. Armutsforscher kritisieren sie als willkürlich. Länder würden dazu animiert, ihre Ressourcen auf diejenigen zu konzentrieren, die knapp unter der Schwelle liegen. Noch Ärmere blieben außen vor.
Auch Alejandro Cuñat, Ökonom an der Uni Wien, steht den Zielen skeptisch gegenüber. Entwicklungsländern werde eine lange Liste an Vorgaben in die Hand gedrückt. "Im Endeffekt kommt es aber immer auf den Willen und das Interesse der Regierungen an." Positive Entwicklung sei langfristig nur mit stabilen Institutionen möglich, deren Abstinenz für viele Regionen das größte Problem. Politischer Wandel könne vom Ausland zwar gefördert werden, aber nicht übergestülpt.
Konzentrierte Probleme
Ebenso gebe es keinen wirtschaftspolitischen Königsweg aus der Armut. Auch Protektionismus könne einer schwachen Industrie helfen, solange er Innovation fördert. "Länder wie Südkorea oder Taiwan haben ihre Industrien staatlich subventioniert, aber im Gegenzug gefordert, dass sie exportieren und mit westlichen Unternehmen konkurrieren."
Der Erfolg der asiatischen Staaten gibt ihnen recht, bedeutet aber auch, dass die Armut geografisch immer konzentrierter ist, allen voran in Subsahara-Afrika. Dort leben aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums trotz prozentualer Verbesserung sogar mehr Menschen in extremer Armut als noch 1990. (Simon Moser, 17.10.2015)