Osama Abdul Mohsen wirkt unscheinbar. Er trägt ein schwarzes Poloshirt und schwarze Lederschuhe, Haare und Hose sind grau. Er ist klein und schmächtig, wenn er spricht, wirkt er aber streng und bestimmt. Der 52-jährige Syrer sitzt auf seiner neuen Couch und erzählt. Nicht nur die Couch ist neu, alles hier ist es. Obwohl er erst seit kurzem in der Wohnung lebt, hat er sich schon fast an sie gewöhnt. Über dem Fernseher liegen zwei kleine Fußbälle, daneben hängt der Wimpel einer spanischen Fußballakademie.
Mohsen ist einer von Millionen Menschen, die aus Syrien geflohen sind, aber der Tritt der Kamerafrau Petra László nahe der ungarisch-serbischen Grenze machte ihn zu etwas Besonderem. Zu einem Symbol für das tragische Schicksal vieler Menschen, aber auch der Missgunst, die ihnen entgegengebracht wird und den Umgang Ungarns mit den Flüchtlingen. Das Video von Lászlós Beinstellerei, der Mohsen, mit seinem damals kranken Kind im Arm, zu Fall brachte, ging durch die sozialen Medien und wurde millionenfach angesehen und geteilt.
Zwei Wochen nach dem Vorfall hat sich das Leben von Mohsen auf den Kopf gestellt. Wie es ihm jetzt geht? "Perfekt!" Er lebt in Spanien, in der Trainerakademie Cenafe erfuhr man aus den Medien von seinem Schicksal und seiner Vergangenheit. Bevor er vor den Bomben und dem Terror des Assad-Regimes floh, war er Sportdirektor beim Erstligisten Al-Fotuwa. Die Akademie hat ihn ins Land geholt, einen Job organisiert – er soll ein Jugendteam coachen, sobald er die nötigen Papiere hat – und auch eine Wohnung in der Kleinstadt Getafe, bei Madrid.
Horrortage in Ungarn
Mohsen ist privilegiert, das weiß er. Sohn Said durfte bei einem Spiel von Real Madrid mit Ronaldo ins Bernabéu einlaufen, ins legendäre Stadion der Madrilenen. Bei seiner Ankunft in Spanien wurde die Familie von Kamerateams begrüßt. Sie ist jetzt berühmt. Und eigentlich will Mohsen keine Interviews mehr geben, sagt er, genervt vom Medienrummel um ihn. Aber als sich der STANDARD bei ihm meldet, macht er eine Ausnahme. Österreich? Ja, mit einer Zeitung aus Österreich trifft er sich gerne. Er hat da noch eine Rechnung zu begleichen.
Bis vor kurzem sah sein Leben noch ganz anders aus. "Die schlimmste Zeit", sagt er, "war die in Ungarn." Zuerst habe er im Freien schlafen müssen, obwohl Said krank gewesen sei. "Dann kamen wir in ein Camp, später noch in zwei andere, es war wie im Gefängnis." Seine Stimme verändert sich, er ist verärgert. "Wir wurden in einem viel zu kleinen Zelt eingesperrt, es war mit Gitterstäben umkreist. Wer rauswollte, wurde mit Schlägen bedroht." Von der Polizei seien sie beschimpft und eingeschüchtert worden. Das Essen, kleine Sandwiches, wurde ihnen durch die Stäbe gereicht. Mit den Menschen in anderen Zelten zu reden war ihnen untersagt, erzählt Mohsen.
Nach drei Tagen brachte ihn die Polizei auf einmal zur Grenze. Zu Fuß ging er einige Kilometer ins Burgenland. "Dann", sagt er. "hat sich alles um 180 Grad gedreht." In Österreich seien die Menschen plötzlich freundlich und zuvorkommend gewesen. "Es waren so viele Helfer da, sie brachten uns Essen, die Polizei war hilfsbereit, und Said wurde endlich von einem Arzt versorgt." Hätte man ihm in Ungarn angeboten, wieder zurückzukehren, "ich hätte es gemacht".
Schlechter Terroristen-Witz
Er war verängstigt, bereute seine Entscheidung, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben die gefährliche Reise ins Ungewisse auf sich genommen zu haben. In Österreich angekommen, fühlte er sich sicher. Er hatte es geschafft. Groß war die Erleichterung auch deshalb, weil es nicht das erste Mal war, dass Mohsen von der Polizei eingeschüchtert wurde.In seiner Zeit in Syrien ging er gegen das Assad-Regime auf die Straße. "In Syrien kennt man meinen Namen, mein Protest hatte Bedeutung." Er wurde verhaftet und gefoltert, sagt er, kam dann aber wieder frei. Über Details will er nicht reden. "Eine lange Geschichte."
Jetzt ist er weit weg, im sicheren Spanien. Dass er es zur Berühmtheit geschafft hat, ärgert das Regime, davon ist der Syrer überzeugt. Deshalb würden auch Gerüchte in den sozialen Medien gestreut, er habe die zur Al-Kaida gehörende Terrorgruppe Al-Nusra unterstützt. Er schmunzelt, wenn er davon spricht. "Das ist ein schlechter Witz, aber genau so arbeitet das syrische Regime."
Nach seiner gelungenen Flucht vor dem Bürgerkrieg und der syrischen Polizei lebte Mohsen in der Türkei in Sicherheit. In den gut zwei Jahren war er die meiste Zeit arbeitslos. Für sich und seine Familie sah er dort keine Perspektive und beschloss wie viele andere, nach Deutschland aufzubrechen. Einen seiner Söhne, den 18-jährigen Mohamad, hatte er schon vor Monaten mit einem Freund nach München geschickt.
Warten auf Familie
Er zahlte einem Schlepper 1.000 Dollar, packte ein paar Sachen und stieg mit seinem Sohn Said in ein völlig überfülltes Boot Richtung Griechenland. Angst hatte er nie, sagt er. Er und Said, sie seien gute Schwimmer. Um die anderen Frauen und Babys an Bord habe er sich aber Sorgen gemacht. Seine eigene Frau ließ er mit den restlichen zwei Kindern zurück. "Die Reise wäre zu teuer gewesen", sagt er, "und ich wusste nicht, was auf uns zukommen wird."
Bald wird er sie wieder sehen, Frau und Kinder dürfen nach Spanien nachkommen, das haben ihm die Behörden schon zugesichert. Der Prozess soll, extra für ihn, beschleunigt werden. Nun will er schnell die Sprache lernen, sagt er. Said und Mohamad gehen bereits zur Schule. Er kann es kaum erwarten, bis er wieder mit seiner ganzen Familie zusammenlebt. Die ungarische Kamerafrau will er rechtlich belangen. Osama Abdul Mohsen ist noch immer wütend. So gehe man nicht mit Menschen um.
Die Kamerafrau hat ihren Job verloren: Nachdem weitere Videos auftauchten, die zeigen, dass sie andere Flüchtlinge, sogar Kinder, trat, verlor sie ihren Job beim rechtsgerichteten Internet-TV-Sender N1TV, wo man ihr Verhalten als "inakzeptabel" rügte.
"Bio macht schön"
Erst in Deutschland habe er das Video am Handy angesehen, sagt er. Bis dahin dachte er, er sei von einem Polizisten niedergestoßen worden. Angesprochen darauf, dass er beim Vorfall ein "Bio macht schön"-Sackerl der österreichischen Grünen trug, muss Mohsen laut lachen. "Keine Ahnung, was da draufstand."Er habe das Sackerl von einem Freund in Serbien bekommen.Was drinnen war?"Nur ein Fußball und ein wenig anderes Zeugs."
Eines ist Mohsen wichtig, bevor er sich verabschiedet und das fast zweistündige Gespräch zu Ende geht. "Ich habe noch eine Bitte", sagt er und faltet seine Hände so, als würde er beten. "Schreiben Sie, dass ich Danke sage. An alle Menschen in Österreich und Deutschland, die uns so freundlich aufgenommen haben. An alle Helfer und an die Polizei. Ich bin so dankbar." Er kämpft mit den Tränen, lacht. "Bitte schreiben Sie das für mich." Die offene Rechnung, er hat sie beglichen. (Andreas Sator aus Getafe, 17.10.2015)