Die Sensorhaut könnte Träger von Prothesen in Zukunft wieder fühlen lassen. Zum Beispiel soll zwischen einem schwachen und einem kräftigen Händedruck unterschieden werden können.

Foto: Foto: Bao Research Group / Stanford University

Stanford – Amputationen gehören zu den ältesten Operationstechniken der Menschheit, werden sie doch nachweislich schon seit dem sechzehnten Jahrhundert durchgeführt. Seit anno dazumal hat sich die Unfallmedizin kontinuierlich weiterentwickelt, und traumatische Verletzungen und die folgenden Amputationen können heute viel häufiger überlebt werden. Dank moderner Handprothesen können Patienten heute sogar einfache Griffe ausüben. Ein großes Manko besteht allerdings nach wie vor: Unseren Tastsinn können diese Behelfe derzeit noch nicht ersetzen.

Wissenschaftern der Stanford University ist nun ein wichtiger Schritt in diese Richtung gelungen: Sie haben eine künstliche Haut entwickelt, die druckempfindlich reagieren und diese Sinneswahrnehmung über elektrische Pulse direkt an eine lebende Gehirnzelle weitergeben kann. Die Bioingenieure um Zhenan Bao versuchen bereits seit zehn Jahren ein Material zu entwickeln, das über Prothesen gespannt werden und die menschliche Haut imitieren kann: flexibel und regenerationsfähig auf der einen Seite, aber auch in der Lage, Sinneseindrücke wie Berührungen, Temperaturunterschiede oder Schmerz an das Gehirn weiterzugeben.

In der nun in der Fachzeitschrift "Science" publizierten Studie gelang es, zumindest einen Aspekt von Berührungen künstlich zu reproduzieren: den sensorischen Mechanismus, der es uns ermöglicht, den Druckunterschied zwischen einem festen Griff und einem schwachen Stupser zu unterscheiden.

Digitalisierte Berührung

Das Herz der neuen Technik ist ein System aus zwei Kunststoffschichten: Die obere Schicht ist für die Sinneswahrnehmung zuständig, die untere Schicht fungiert als Schaltkreis, der die elektrischen Signale transportiert und in einen biochemischen Stimulus übersetzt, den die Nervenzellen verstehen können.

Bereits vor fünf Jahren hatten Mitarbeiter Baos entdeckt, dass man spezielle Kunststoffe als Drucksensoren einsetzen konnte, indem ihre Elastizität gemessen wurde. Diese natürliche Eigenschaft konnte durch das Einkerben eines Waffelmusters auf dem dünnen Plastik noch verstärkt werden. Die Wissenschafter brachten zudem Billionen von Kohlenstoff-Nanoröhrchen in das Material ein: Wird Druck auf den Kunststoff ausgeübt, werden die Nanoröhrchen näher zusammengedrückt und können so Elektrizität leiten.

Die untere Schicht soll die Signale empfangen, übersetzen und an die Nervenzellen im Gehirn weiterleiten. Dafür musste flexible Elektronik entwickelt werden, die sich biegen konnte, ohne dabei aber zu brechen.

Ohne Biegen und Brechen

Dazu wurden flexible elektronische Schaltkreise mittels eines Tintenstrahldruckers auf den Kunststoff aufgebracht. Doch wie kommt die Information nun ans Gehirn? Dieser Schritt gelang mittels eines neuen Forschungszweiges: der Optogenetik. Dabei können Lichtimpulse genutzt werden, um Zellprozesse ein und aus zu schalten.

Hier entwickelten die Wissenschafter eine Kette von Neuronen, um einen Teil des menschlichen Nervensystems zu simulieren. Das elektrische Signal der künstlichen Haut wurde in Lichtpulse übersetzt, welche die Neuronen aktivierten. Es gelang den Forschern also, mittels dieser Sensorhaut eine komplette Signalkette, beginnend bei einem mechanischen Druckreiz bis zu einem neuronalen Puls, aufzubauen.

Aber bis zur Verknüpfung des Systems mit dem Nervensystem lebender Tiere oder sogar mit Menschen ist es noch ein weiter Weg. Bao ist dennoch überzeugt, dass man in Zukunft neben dem Tastsinn auch noch weitere Sensoren, etwa für Temperatur oder Feuchtigkeit, in die Sensorhäute integrieren könnte. Auch ein Einsatz in der Robotik ist für die Bioingenieure denkbar. (Renate Degen, 17.10.2015)