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Argentinisches i-Tüpferl: Juan Imhoff segelt im Spiel gegen Irland zu seinem zweiten Try.

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Dieser Ball wird der entscheidende sein: Bernard Foley verwandelt im Duell mit Schottland in letzter Minute einen Penalty für Australien.

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Wien/Cardiff/Twickenham – Paul O'Connell und Jonathan Sexton waren am Sonntagnachmittag auf der Tribüne des Millennium Stadium von Cardiff zu finden. Man twitterte ein bisschen, tippselte das Tablet. Auf dem Spielfeld wären der ikonische Kapitän und sein Spielmacher allerdings wertvoller gewesen, für Irlands Rugby-Nationalmannschaft. Insbesonders, da mit Peter O'Mahony, Jared Payne und Sean O'Brien weitere wichtige Spieler für das Weltmeisterschafts-Viertelfinale gegen Argentinien wegen Verletzung nicht zur Verfügung standen.

Personell ordentlich zur Ader gelassen unternahm der regierende Six-Nations-Champion also den Versuch, erstmals bei einer WM ein K.o.-Spiel zu gewinnen. In der Tat hat Irland noch nie das Halbfinale erreichen können.

Blitzstart, Fehlstart

Der Beginn war ernüchternd. Nach zehn Minuten stand es 0:14, als gerade die Halbzeit der ersten Hälfte auf der Uhr stand waren die Pumas bereits auf 20:3 davon gezogen. Argentinien, 2007 schon mit Bronze dekoriert, nutzte den Raum, den eine unsortierte irische Defensive zur Verfügung stellte: Das begann mit Matias Moroni, der auf der rechten Seite durchging und mit dem ersten Angriff gleich den ersten Try erzielte. Es war sein vierter im Turnier. Dann kickte Santiago Cordero den Ball nach vorne, Juan Imhoff machte sich auf die Verfolgung, pflückte die Kirsche und brachte sie schlitternd noch rechtzeitig zum nächsten Versuch zu Boden. Beide argentinische Flügel machten gehörig Betrieb, ihr Team schien nahtlos an seine sehr überzeugend absolvierte Vorrunde anzuschließen.

Da bleibt kein Auge trocken.
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Langsam fand und fing sich Irland. Luke Fitzgeralds Durchbruch begab sich zwar noch gegen den Spielverlauf, er war aber, nach einer halben Stunde, erstes Anzeichen, dass sich der Charakter der Partie ändern sollte. Die Grünen fanden Schritt für Schritt zurück zur Struktur, arbeiteten sich heran. Wichtig, dass gleich nach der Pause ein weiterer Versuch gelang. Wieder war Fitzgerald federführend: ein kleiner Tanz, ein kluger Pass – und Jodi Murphy vollendete. Bei einem Stand von 17:20 war nun wirklich wieder alles möglich. Dazu trug bei, dass das argentinische Temperament etwas überzuschäumen begann. Die Disziplin litt.

Vorübergehend Messers Schneide

Die Iren hatten die Dynamik auf ihre Seite gezogen, es hatte den Anschein, als wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihnen die jetzt müde wirkenden Pumas in den Schoß fallen würden. Madigan hätte nach einer Stunde zum 23:23 ausgleichen können, doch sein Penaltykick eierte an den Malstangen vorbei. Nicolas Sanchez, sein Pendant in Blau-Weiß, machte das besser – Argentinien war wieder sechs Punkte weg. Ein Knackpunkt. Denn ab diesem Moment erfuhr das Geschehen eine weitere Wendung: die Argentinier fanden die Fassung wieder, die flinken Beine feierten Wiederauferstehung. Das Resultat: 17 unerwiderte Punkte in den letzten zehn Spielminuten, zwei weitere Tries inklusive: der erste, entscheidende, durch Joaquin Tuculet willensstark erwurschtelt, der zweite, hübsches Ornament, von Imhoff elegant ersprintet.

Irland hatte keine Antwort mehr, zu viel Aufholaufwand hatte man sich durch die verschlafene Anfangsphase aufgehalst. Endstand 20:43. Während die Südamerikaner letztlich komfortabel in die Vorschlussrunde einzog, scheiterte mit der Equipe des neuseeländischen Trainers Joe Schmidt bereits der dritte, und von vielen als aussichtsreichster eingeschätzte, europäische Vertreter im Viertelfinale.

Zerreißprobe für die Papierform

Allein Schottland konnte nun noch ein südhemisphärisches Halbfinal-Monopol verhindern. Australien jedoch schien übermächtig, so imponierend verlief der bisherige Weg der Wallabies durch dieses Turnier. Noch vor einem Jahr schwer angezählt, mauserte sich das Team unter dem neuen Coach Michael Cheika erst zum Mitfavoriten auf den Titel. Aktuell konnte man auch die einschrängkende Präposition eigentlich schon streichen.

Australien vs. Schottland: Höhepunkte.
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14 Minuten waren in Twickenham, wo die Schotten zuletzt 1983 ein Spiel gewinnen konnten, absolviert, als die Realität gegen die Papierform aufzubegehren begann. Nach 18 war letztere reif für den Reißwolf. Ganz geschäftsmäßig hatten die Australier losgelegt, 90 Prozent Ballbesitz, erster Try durch Adam Ashley-Cooper. Auf einmal jedoch, begannen die Schotten am Geschehen teilzunehmen. Chancen wurden gesucht und gefunden, überraschend viel Geländegewinn gelang, als man sich hakenschlagend und unter Zugabe einer Prise Unorthodoxie an den australischen Giganten vorbeischwindelte.

Australiens Scrum, unter Anleitung des argentinischen Spezialisten Mario Ledesma von einer Bürde zur Zierde verwandelt, kam unter Druck. Das war nicht zu erwarten gewesen. Penalties gegen die Wallabies führten im Zusammenwirken mit dem unnachgiebigen Fuß des Greig Laidlaw dazu, dass die Schotten mit einer 16:15-Führung in die Pause gingen. Denn während der Kapitän makellos kickte, vergab Bernard Foley auf australischer Seite sämtliche drei Chancen zu Conversions.

Sieben Leben

In der zweiten Halbzeit befanden sich die Schotten zwar zumeist im Rückwärtsgang, blieben jedoch am Leben. In der 74. Minute antizipierte Mark Bennet superb, fing einen Pass von James Slipper ab, der Weg zu Schottlands drittem Try war frei. Die Sensation war jetzt greifbar, der Außenseiter lag 34:32 voran.

Was nun folgte war klassisches schottisches Drama. Und das kam so: John Welsh bekam nach einem Knock-on seine Hände nicht schnell genug aus der Ballumgebung – Referee Craig Joubert nahm seine Pfeife in Betrieb. Absichtliches Abseits? Eine umstrittene Entscheidung, Laidlaw fordert vergeblich die Einschaltung des Video-Schiedsrichters. Penalty. Letzte Minute: Foley läuft an, Foley kickt, Foley trifft.

Schottland, das nach heroischem Gebaren am Ende doch mit leeren Händen endet, Bücher könnten mit solchen Geschichten gefüllt werden. 34:35, was für ein Match. Die Wallabies komplettieren das Halbfinale, dort treffen sie Argentinien. (Michael Robausch – 18.10. 2015)