In Stronsdorf in Niederösterreich "geht's drunter und drüber", sagt Jagdleiter Gottfried Koller zum STANDARD. Auf einem Sojabohnenfeld wurden im Zuge einer Vogelbeobachtung 37 tote Rohrweihen gefunden. Diese Greifvögel stehen europaweit unter Schutz, es handelt sich um eine gefährdete Art.
Obduktion ergab: Tod durch Schrotmunition
Im Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Uni Wien wurden die toten Vogelkörper obduziert. Laut einer Presseaussendung von WWF und Landesjagdverband hat sich der Verdacht über die Todesursache bestätigt: Die Rohrweihen kamen durch Schrotmunition zu Tode.
"Jeder kann sich ein Schrotgewehr kaufen und damit schießen", sagt Koller. Er glaubt nicht, dass es sich bei den Tätern um Jäger handelt, und nimmt speziell die Jäger in seinem Stronsdorfer Revier in Schutz: "Keinem meiner Jäger traue ich diese Tat zu. Es ist so eine schlimme Sache. Eine Schande für die Jägerschaft." Koller hofft auf rasche Aufklärung.
Landeskriminalamt ermittelt
Wer die Tat begangen hat und ob es sich bei den Tätern um Jäger handelt oder nicht, steht noch nicht fest. An der Aufklärung arbeitet das Landeskriminalamt (LKA). "Wir haben die Ermittlungen übernommen", sagt Johann Baumschlager, Kontrollinspektor und Pressesprecher des LKA, zum STANDARD. "Es wurden Personen einvernommen, weitere Erhebungen sind im Gange."
Landesjagdverband distanziert sich öffentlich
Landesjägermeister Josef Pröll teilte in einer Presseaussendung mit, dass sich die niederösterreichischen Jägerschaft "von diesem Gesetzesbruch" distanziere. Er zählt bei der Aufklärung auf "alle verantwortungsbewussten Waidmänner".
Gemeinsam mit dem WWF hat der Landesjagdverband 2.000 Euro Prämie für Hinweise ausgesetzt, die zur Ergreifung der Täter führen. "Das ist öffentlichkeitswirksam, greift aber nicht", kritisiert Hans Frey, Veterinärmediziner und Leiter der Eulen- und Greifvogelstation Haringsee. "Es ist zynisch von der Jägerschaft zu behaupten, Revierfremde hätten dieses Gemetzel verübt. Es müssen mehrere Jäger aus der Umgebung gewesen sein", sagt Frey. Der Jagdverband solle den Jagdleiter zur Verantwortung ziehen, denn "Vertuschungspolitik begünstigt nur die, die illegale Handlungen setzen".
Wochenlang seien im Revier geschützte Vögel abgeschossen worden, sagt Frey. "Entweder der Jagdleiter hat es nicht bemerkt, dann ist er falsch am Platz, oder er wusste es." Konfrontiert mit den Vorwürfen sagt Jagdleiter Koller zum STANDARD: "Ich weiß von nichts, keiner hat zu mir etwas Negatives über Rohrweihen gesagt. Die toten Vögel lagen in einem Sojabohnenfeld, da sieht man nicht rein."
Kein Einzelfall, aber neue Dimension
Die Vogelschutzorganisation Birdlife, der WWF und auch Vogelexperte Frey können viele Fälle von illegalen Abschüssen geschützter Vögel aufzählen, etwa Mäusebussarde, Rotmilane und Rauhfußbussarde. "Mit dem Fall in Stronsdorf wurde allerdings eine neue Dimension erreicht", sagt Frey. "Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer von getöteten Vögeln noch viel höher liegt." Seit der Fall Stronsdorf in einem Fernsehbericht erwähnt wurde, "werden bei uns vermehrt tote und verletzte Greifvögel von der Bevölkerung gemeldet".
Ein arttypisches Verhalten könnte bei der Jagd auf die geschützten Greifvögel ausgenutzt worden sein. "Rohrweihen sind Genossenschaftsschläfer. Zum Schlafen versammeln sich mehrere Tiere auf Sammelschlafplätzen am Boden. Diese Plätze wurden in Stronsdorf systematisch aufgesucht und eine Treibjagd auf die Rohrweihen verübt", ist sich Frey sicher.
Der Jäger als Sündenbock
Noch steht nicht fest, ob Jäger oder Jägerinnen am illegalen Abschuss der Rohrweihen beteiligt waren. "Genauso könnten es Sportschützen gewesen sein", erklärt Jagdleiter Koller.
In einem anderen Fall verdächtigt das Landeskriminalamt Burgenland aufgrund von Ermittlungen derzeit zwei Jäger, mehrere geschützte Greifvögel bei Deutschkreutz getötet und in einer Gefriertruhe gelagert zu haben. Beiden soll die Jagdberechtigung entzogen worden sein. Ein Gerichtsprozess ist anhängig und wurde vertagt.
Der Greifvogel – eine Konkurrenz zur Jagd?
Warum sollten Jäger und Jägerinnen überhaupt illegal auf geschützte Greifvögel schießen? "Die Greifvögel werden als Konkurrenz zur Jagd gesehen", erklärt Gabor Wichmann, stellvertretender Geschäftsführer von Birdlife. Sie seien ein altes, traditionelles Feindbild.
Um Niederwildbestände aufrechtzuerhalten, werden Greifvögel Opfer illegaler Abschüsse. Jagdethiker Winkelmayer wirft die Frage auf: "Warum soll ein Tier sterben, damit ein anderes Tier leben kann, nur um zu einem späteren Zeitpunkt von einem Jäger abgeschossen zu werden?" Der Zusammenhang zwischen Niederwildbeständen und Greifvögeln ist nicht unumstritten.
Unwissenheit und altes Feindbild
"Die Jägerschaft ignoriert seit Jahren wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass diese Tiere völlig irrelevant für Niederwild sind", sagt Frey. "Rohrweihen ernähren sich von Mäusen und anderen kleinen Säugetieren." Mythen und längst widerlegtes Wissen würden unhinterfragt an neue Jägergenerationen weitergegeben.
"Die Jäger haben zudem keine artenschutzrechtliche Ausbildung", kritisiert die Grünen-Abgeordnete Madeleine Petrovic, Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins. Außerdem funktioniere "die Selbstkontrolle innerhalb der Jägerschaft überhaupt gar nicht". Schon lange verlange man vom Niederösterreichischen Jagdverband, "die geforderten Korrektur- und Aufklärungsmaßnahmen zur wahren Biologie der Rohrweihe in der Jagdausbildung und via Fachzeitschriften voranzutreiben", sagt Gabor Wichmann von Birdlife.
Biologin: Aussetzen fördert Konkurrenzdenken
"Die Jäger haben heutzutage Viehzüchtermentalität. Eine natürliche Sterblichkeit wird nicht toleriert", kritisiert Wildtierbiologin Karoline Schmidt. Durch das Aussetzen von gezüchteten Tieren und das Bejagen der natürlichen Feinde werde eine unnatürliche Situation geschaffen und das Ökosystem instabil.
"Das Aussetzen von gezüchteten Tieren fördert die Konkurrenz enorm, weil finanzieller Aufwand seitens der Jäger betrieben wird, um höhere Niederwildbestände zu haben." Zu fragen sei, ob diese Form der Niederwildjagd "heute überhaupt noch zeitgemäß ist", gibt Winkelmayer zu bedenken.
Fasanerien in Niederösterreich
In Niederösterreich "werden keine Fasane ausgesetzt, weil wir Wildbestände haben", erklärt Peter Lebersorger, Generalsekretär der österreichischen Jagdverbände, auf Anfrage des STANDARD. "Wozu gibt es in Niederösterreich dann Volieren für Fasane?", wundert sich Wichmann. "Es wird scheinbar ausgesetzt, aber nicht darüber gesprochen."
Der Verein gegen Tierfabriken (VGT) beschäftigt sich schon länger mit dieser Jagdpraxis. "Die einzelnen Jäger können eigenständig Fasane in ihren Revieren aussetzen. Der Jagdverband kann eigentlich gar keine seriöse Aussage darüber machen", erklärt VGT-Obmann Martin Balluch. Zahlreiche Fasanerien sollen unter anderem in Niederösterreich betrieben werden. "Rund um die Fasanerien kommen Habichtfallen, lebende Lockvögel und andere Fallen, um Greifvögel zu fangen, zum Einsatz", sagt Balluch.
Böck: Makabrer Sport
In Oberösterreich "werden grundsätzlich keine Fasane ausgesetzt. Dass einzelne Jäger es tun, kann man nicht ausschließen", erklärt Christoph Böck, Geschäftsführer des oberösterreichischen Jagdverbands. Zum Aussetzen speziell von Fasanen habe man im Bundesland eine klare Haltung: "Tiere zu züchten und danach abzuschießen ist ein makabrer Sport – ein Tierabschuss –, hat aber nichts mit nachhaltiger Jagd zu tun."
Die Vergangenheit hat laut Böck gezeigt, dass "das Auslassen von gezüchteten Tieren zur Bestandsstützung des Niederwilds sehr schwierig ist. Zuchtfasane sind nicht sehr überlebensfähig." Effektiver seien unterstützende Maßnahmen für mehr Lebensraum und "eine scharfe Raubwildbejagung, beispielsweise beim Fuchs".
Winkelmayer: Perversion des Systems
"Das ist die Perversion des jagdlichen Systems", sagt Jagdethiker Winkelmayer. Es gehe immer wieder darum, "selbst mehr schießen zu können. Der Jäger kann seinen Platz im Ökosystem nur haben, wenn er akzeptiert, dass auch Jäger aus der Tierwelt andere Tiere töten. So ist die Natur", mahnt Wildtierbiologin Schmidt. (Victoria Windtner, 21.10.2015)