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Die meisten Ukrainer sind zwar froh, dass der Konflikt im Osten des Landes sich zuletzt etwas beruhigt hat – die Regierung von Präsident Petro Poroschenko versucht der allgemeinen Krisenstimmung dennoch mit patriotisch-kriegerischer Symbolik entgegenzutreten.

Foto: APA / EPA / Sergej Dolzhenko

Kurz vor der Regionalwahl in der Ukraine am kommenden Sonntag war noch einmal Patriotismus Trumpf: Am frisch ausgerufenen "Tag des Ukraine-Verteidigers" vergangenen Mittwoch präsentierte das Militär nicht nur gepanzerte Wasch- und Feldküchen. Vor dem Hintergrund des Kiewer St. Michaelsklosters durften Eltern auch Kinder auf Kampfpanzern fotografieren. Die auf die Bühne gepinselte Losung "Stärke der Unbesiegten" hatte Anklänge an die in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg kursierende "Unbesiegt im Felde"-Legende.

Wenige hundert Meter weiter auf dem Maidan erschallten Kosakenlieder und Lesja Rois "Hol mich raus aus Neurussland" in voller Lautstärke. Und während Freiwillige für verwundete Soldaten Spenden sammelten, nutzten die Parteien die Maidan-Symbolik für ihren Wahlkampf und verteilten eifrig Agitationsmaterial.

Poroschenko in Kampfpose

Auch Präsident Petro Poroschenko nutzte den Tag für einen martialischen Auftritt: Das Fernsehen zeigte ihn als Kopilot einer SU-27. Der Auftritt hat Vorgänger – Wladimir Putin flog schon vor 15 Jahren in seiner ersten Präsidentschaftskampagne mit dem Jagdbomber. Poroschenkos vermeintlicher PR-Coup rief in Kiew daher eher Spott hervor. Kriegsrhetorik ist kaum noch gefragt, die meisten Ukrainer sind froh darüber, dass der Konflikt im Donbass nun zumindest eingefroren wurde. Sie plagen andere Sorgen. Die Wirtschaft ist im Fall, die Währung abgewertet, Inflation und steigende Tarife haben das Lebensniveau der Menschen gedrückt.

Rund 50 Parteien stellen sich in Kiew zur Wahl. Die meisten von ihnen werden von Oligarchen gesteuert, da die Kampagne zig Millionen Dollar kostet. Manche Milliardäre schicken sogar mehrere Pferde ins Rennen. So soll Poroschenko neben seiner eigenen Partei Solidarnost angeblich auch die Partei Ruch unterstützen, die sich als neue Kraft etablieren will und die Korruption auf Beamtenebene anprangert.

Sein Widersacher Ihor Kolomojskyj ist mit Ukrop vertreten, soll aber auch die Samopomitsch unterstützen und sogar den Kiewer Bürgermeisterkandidaten vom Rechten Sektor Borislaw Berjosa auf der Gehaltsliste haben.

"Wir sind Bettler"

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politiker ist gering. Das muss auch der 36-jährige Alexander erfahren, der in einer der Kiewer Schlafstädte kandidiert: Die meisten Bewohner lehnen seine Handzettel ab und wollen ihn kaum anhören. Wer es doch tut, klagt: "Wir sind Bettler", sagt Pensionistin Alexandra, die ihren Enkel im Kinderwagen durch den Kiewer Außenbezirk Posnjaki schiebt. Die Pension reiche hinten und vorne nicht, ihr Sohn finde seit Monaten keinen guten Job.

Posnjaki ist ein Paradebeispiel für uneingelöste Versprechen: Seit 15 Jahren quälen sich die Bewohner mit dessen schlechter Infrastruktur. Sowohl zur Metro als auch zu Bus und Bahn sind es teils kilometerlange Fußmärsche. Parkplätze fehlen ebenso wie Kindergärten und Schulen. "Ich habe als Krankenschwester im Kindergarten angefangen, um mein Kind dort unterzubringen", sagt Inna, die mit ihrer Tochter auf dem Heimweg ist, als sie von Alexander angesprochen wird. Ihr Gehalt beträgt umgerechnet 50 Euro.

Probleme mit der Infrastruktur

Selbst für Kiewer Verhältnisse ist das wenig. In der Hauptstadt liegt der Durchschnittsverdienst immerhin noch zwischen 5.000 bis 6.000 Hrywnja (200-240 Euro). In den Regionen sieht es düsterer aus: "Ich bekomme 2.000 Hrywnja", sagt Olena, eine Lehrerin aus Schytomyr, nur eineinhalb Autostunden außerhalb von Kiew.

Die Probleme, die es in der Hauptstadt gibt, treten hier noch schärfer zutage: Busse und Straßenbahnen sind klapprig, die Straßen holprig. Wegen der alten Leitungen fallen in den Häusern öfter einmal Wasser, Strom oder die Wärmeversorgung aus. Nach den Wahlen sollen die Tarife trotzdem überall im Land steigen.

Für Poroschenko ist die Wahl ein wichtiger, aber heikler Stimmungstest. Umfragen zufolge ist die Popularität der Regierung eingebrochen. Premier Arsenij Jazenjuk hat angesichts seines niedrigen Ratings darauf verzichtet, seine bei der Parlamentswahl siegreiche Nationale Front ins Rennen zu schicken, und ließ sie in Poroschenkos Solidarnost aufgehen.

Unsichere Perspektiven

Trotzdem ist ein gutes Abschneiden unsicher. Expremierministerin Julia Timoschenko hat aufgeholt. Ihre Vaterlandspartei bedrängt Solidarnost mit Kritik an der geplanten Tariferhöhung. In Dnipropetrowsk ist Ukrop stark, in Lwiw Samopomitsch. Selbst in Kiew gilt der Sieg von Poroschenkos Partner Vitali Klitschko nicht mehr als sicher. Wird die Wahl für die Koalition ein Misserfolg, gilt eine Kabinettsumbildung als ausgemacht. Auch der Ruf nach vorgezogenen Parlamentswahlen dürfte dann wieder lauter werden. Die will Poroschenko verhindern. Viel Spielraum hat er nicht. (André Ballin aus Kiew, 20.10.2015)