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"Oft, wenn Journalisten über Frauen im öffentlichen Leben berichten, beginnen sie damit, deren Aussehen zu beschreiben: ihre Haare, ihre Kleidung, ihr Make-up. Das ist sehr frustrierend, denn es impliziert, dass unser Aussehen wichtiger ist als unsere Leistungen", sagt die Linguistin Deborah Tannen.

Foto: AP/Random House/ Linda Farwell

STANDARD: Sie halten am Donnerstag die Keynote an der Universität Wien unter dem provakanten Titel "Beyond Sexism: Why Journalists always Write about Women's Hair and Clothes – and probably always will". Worum geht es dabei?

Deborah Tannen: Oft, wenn JournalistInnen über Frauen im öffentlichen Leben berichten, beginnen sie damit, deren Aussehen zu beschreiben: ihre Haare, ihre Kleidung, ihr Make-up. Das ist sehr frustrierend, denn es impliziert, dass unser Aussehen wichtiger ist als unsere Leistungen. Das betrifft Frauen viel stärker als Männer.

STANDARD: Wie kommt es dazu?

Tannen: Meine Theorie dazu – und das habe ich in meinem Buch über die Kommunikation von Müttern und erwachsenen Töchtern ausführlich diskutiert – ist folgende: Die größte Beschwerde von Töchtern über ihre Mütter ist: "Sie sind kritisch." Mütter dagegen beklagen: "Ich darf meinen Mund nicht aufmachen, sie fasst alles als Kritik auf." Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Töchter meinen, dass es um Kritik geht, Mütter glauben, dass sie damit nur hilfreich sind – und beides stimmt. Oft geht es dabei um das Aussehen. Die drei großen Themen sind: Haare, Kleidung, Gewicht. Es ist kein Zufall, dass es dieselben Eigenschaften des Aussehens sind, auf die sich JournalistInnen konzentrieren, wenn sie über Frauen berichten. Es gibt ein linguistisches Konzept, das wir Markiertheit nennen, mit dem wir das besser verstehen können.

STANDARD: Können Sie das ausführen?

Tannen: Frauen müssen ihren Haar- oder Kleidungsstil aus einer viel größeren Bandbreite wählen als Männer. Jede Entscheidung, die wir treffen, sagt etwas über uns aus. Die eine Wahl, die wir nicht haben, ist, keine Wahl zu treffen. Männer hingegen haben die Wahl, neutral zu sein. Da kommt das Konzept der Markiertheit hinein. In seiner neutralen Grundform ist ein Wort unmarkiert. Im Englischen ist die Gegenwart unmarkiert. Wenn man etwas in der Vergangenheit oder Zukunft sagen will, muss man das Verb markieren. Nur die Gegenwart ist neutral. Auch der Singular ist unmarkiert, zum Beispiel "toy". Im Plural ist das Wort markiert: "toys". Wenn man das als Metapher für den Haar- und Kleidungsstil von Frauen nimmt, gibt es keine unmarkierte Wahl. Jede Wahl, die wir treffen, ist markiert und sagt etwas über uns.

STANDARD: Hat das auch positive Aspekte?

Tannen: Ja, es ermöglicht uns, unsere Individualität auszudrücken. Wir können mit verschiedenen Persönlichkeiten experimentieren. Viele Frauen genießen das auch. In meiner Forschung zu Freundinnen habe ich herausgefunden, dass viele Frauen gerne mit ihren Freundinnen über Mode und Make-up sprechen. Aber die Freiheit, die wir nicht haben, ist, neutral zu sein. Das ist der Grund, warum JournalistInnen immer verführt sein werden, etwas über das Aussehen einer Frau zu sagen, weil es etwas über sie aussagt. Tatsächlich beschreiben JournalistInnen ja auch das Aussehen von Männern, wenn es etwas über sie aussagt. Das zeigt sich zum Beispiel an der Obsession mit Donald Trumps Haaren.

STANDARD: Wird die Fokussierung auf Äußerlichkeiten in der medialen Berichterstattung über Frauen mit der Zeit weniger?

Tannen: Das hat sich nicht verändert, und das ist frustrierend. Ich muss aber sagen, dass JournalistInnen damit aufgehört haben, über Hillary Clintons Haare zu schreiben, was mich sehr freut. Aber im Allgemeinen thematisieren viele Artikel über Frauen immer noch deren Aussehen. JournalistInnen werden das auch weiterhin tun. Doch wie ich in meiner Forschung über Mütter und Töchter gesehen habe, können viele Mütter ihre Beziehung zu ihren Töchtern verbessern, wenn sie sich auf die Zunge beißen und das Aussehen ihrer Töchter nicht mehr so häufig kommentieren. Ich hoffe, dass JournalistInnen erkennen, dass das eine Wahl ist, die sie treffen können. Sie können sich in Selbstkontrolle üben.

STANDARD: Ihre Keynote findet im Rahmen des Symposiums "Gender_Language_Politics" anlässlich des 650-Jahr-Jubiläums der Uni Wien statt. Wie würden Sie die politische Dimension von Gender in der Alltagssprache beschreiben?

Tannen: In jeder Machtposition befinden sich Frauen in einer Zwickmühle: Wenn sie in einer Weise sprechen, wie es von Frauen erwartet wird, sind sie sympathisch, aber sie verlieren Respekt. Wenn sie aber wie Politiker sprechen, werden sie nicht sympathisch gefunden, weil sie zu aggressiv erscheinen.

STANDARD: Gibt es eine Lösung für dieses Dilemma?

Tannen: Die Lösung wäre, mehr Frauen in Machtpositionen zu haben, dann würden sich die Menschen daran gewöhnen. Solange das nicht erreicht ist, müssen die einzelnen Frauen eine Balance finden.

STANDARD: In Ihrem Buch "You Just Don't Understand" werfen Sie die Frage auf, wie es möglich ist, dass Männer und Frauen ein Gespräch mit vollkommen unterschiedlichen Vorstellungen darüber verlassen, was besprochen wurde – wie kommt es dazu?

Tannen: Männer und Frauen benutzen Sprache unterschiedlich. Eine typische Situation ist, wenn eine Frau ein Problem erwähnt und der Mann sofort eine Lösung anbieten will, obwohl sie nur das Problem besprechen wollte, ohne gesagt zu bekommen, was zu tun sei. Frauen wollen über Probleme sprechen, um sich verbunden zu fühlen. Männer sind diese Art von Gesprächen nicht gewöhnt und fragen sich: "Warum erzählt sie mir das, wenn sie keine Lösung will?" Für Frauen ist das Gespräch wichtig, um Beziehungen aufrechtzuerhalten. Sie sprechen über persönliche Dinge, dadurch fühlen sie sich nahe. Männer konzentrieren sich im Sprachgebrauch mehr auf die Dimension, wer oben und wer unten ist. Ihre Beziehung entsteht dadurch, dass sie gemeinsam etwas unternehmen, weniger durch Gespräche.

STANDARD: In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich vor allem mit Alltagssprache, in "The Arguing Culture" haben Sie aber auch die Sprache in wissenschaftlichen Publikationen genauer analysiert. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?

Tannen: Es gibt eine Tendenz in der Academia anzunehmen, dass Gegensätze und die Ideen anderer Menschen anzugreifen eine Möglichkeit ist, Ideen zu erforschen und Wissen zu erlangen. Es gibt dieses Gefühl, dass es ziemlich langweilig ist, wenn man ein Paper schreibt, in dem man jemand anderem zustimmt. Wenn man aber jemand anderen angreift, steigen die Chancen, Aufmerksamkeit zu bekommen. Deswegen beginnen viele akademische Texte damit, zu sagen, warum andere AutorInnen falsch gelegen sind. Manchmal kann das gut sein, aber es birgt die Gefahr, vieles zu ignorieren, von dem man lernen könnte, wenn man sich nur auf die Dinge konzentriert, denen man nicht zustimmt. (Tanja Traxler, 21.10.2015)