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Justin Trudeau ließ sich nach dem Wahlsieg seiner Liberalen gemeinsam mit Ehefrau Sophie Grégoire von seinen Anhängern feiern.

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Der schwer geschlagene konservative Premierminister Stephen Harper muss die politische Bühne Kanadas verlassen.

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Politischer Erdrutsch in Kanada: Nach neun Jahren konservativer Politik hat am Sonntag eine Mehrheit der Stimmbürger den amtierenden Premierminister Stephen Harper in die Wüste geschickt. Sie entschieden sich mit einer von niemandem erwarteten Klarheit für die optimistische Botschaft der Liberalen Partei. Deren Vorsitzender, der künftige Premierminister Justin Trudeau, erklärte nach dem Wahlsieg unter dem Jubel seiner Anhänger: "Wir haben eine negative, polarisierende Politik mit einer positiven Vision besiegt, die die Kanadier zusammenbringt."

Die überwältigende Dominanz der Liberalen ist erstaunlich. Nach Korruptionsskandalen war die einst staatstragende Partei noch vor vier Jahren ein kümmerliches Häufchen mit 34 Abgeordneten im Parlament. Nun belegt sie 184 von 338 Sitzen, während die Konservativen nur auf 99 Mandate kommen. In ganz Kanada war in der Bevölkerung seit Wochen ein starker Wunsch nach Veränderung spürbar gewesen. Besonders an der Person Stephen Harpers, dem häufig Kontrollwut, Geheimniskrämerei und Verachtung für Parlament und Gerichte attestiert wurden, hatten sich viele Debatten entzündet. Nach seiner Wahlniederlage ist Harper als Vorsitzender der Konservativen Partei zurückgetreten.

Der ehemalige Theater- und Snowboardlehrer Justin Trudeau ist das pure Gegenteil von Harper: leutselig im Umgang mit Menschen, optimistisch in seinen Reden. "Er bewegte sich durch die Menschenmenge wie jemand, der ganz locker in einem See schwimmt", schrieb die Zeitung The Globe and Mail.

Der 43-jährige athletische Hobbyboxer scheint bei vielen Menschen dieselbe Bewunderung zu erregen wie sein verstorbener Vater, der legendäre Ex-Premier Pierre Elliott Trudeau. Justin, der älteste von drei Trudeau-Söhnen – einer davon kam 1998 in einer Lawine um –, schaffte es, die Liberale Partei zu einigen und auf Vordermann zu bringen.

Mann der Mitte

Viele Kanadier sahen im nun abgewählten Stephen Harper einen Mann, der der Wirtschaft – insbesondere der Ölindustrie – unnötige Geschenke in Form von Steuererleichterungen machte. Justin Trudeau hingegen will die Steuerlast der niedrigeren Einkommensschichten erleichtern und dafür Reiche stärker zur Kasse bitten. Trotzdem präsentiert er sich als Mann der Mitte: So ist er etwa nicht grundsätzlich gegen Ölpipelines, sondern für eine striktere Überprüfung der Bedingungen. Er plant auch nicht die völlige Abschaffung von Harpers umstrittenem Anti-Terror-Gesetz, das bürgerliche Freiheiten einschränkt, sondern will nur Teile daraus entfernen.

Außenpolitisch wollen die Liberalen das zuletzt erkaltete Verhältnis zu den USA verbessern. Im Wahlkampf hatte Trudeau erklärt, nach seinem Amtsantritt werde er als Erstes US-Präsident Barack Obama anrufen. Seine Partei beabsichtigt auch, das kanadische Bombardement von Stellungen der Terrormiliz "Islamischer Staat" zu beenden, sich im Irak jedoch stärker beim Training von Soldaten zu engagieren. Auch mehr Flüchtlinge aus Syrien sollen ins Land gelassen werden.

Auch mit internationalen Organisationen will Trudeau besser zusammenarbeiten. In der Klimapolitik möchte er neue Akzente setzen und in grüne Technologien investieren – unter Harper hatte Kanada als erstes Land das Kioto-Abkommen aufgekündigt.

Trudeau stellte auch eine Reform des Mehrheitswahlrechtes und eine Lösung für die Krise des Senats in Aussicht. Dessen Mitglieder werden immer noch vom Premierminister bestimmt – meistens als Geschenk für Parteigünstlinge. (Bernadette Calonego aus Vancouver, 20.10.2015)