Man müsse jetzt mehr auf die "Ängste und Sorgen des Volkes" hören, lautet der Befund in den Nicht-FPÖ-Parteien angesichts des Vormarsches der FPÖ.

Auch Wiens Bürgermeister Michael Häupl stimmte noch am Wahlabend in diesen Chorus ein: "Es gibt Ängste und Sorgen. Sorgen um den Arbeitsplatz, um die Wohnung. Manchmal gibt es auch unbegründete Ängste, da wird es unsere Aufgabe sein, tatsächlich im kleinräumigen Bereich, nicht nur vom Rathaus, von der Zentrale, diesen Menschen diese Sorgen zu nehmen."

Diverse Medien, auch der STANDARD, haben sich vor und nach der Wahl in den Blauwählergebieten in den betreffenden Wiener Bezirken umgehört. Der zusammenfassende Befund: die Arbeitsplätze und die "Ausländer". Vor allem aber ein Phänomen: Die Leute fürchten sich davor, dass es schlechter wird, bevor es überhaupt schlechter geworden ist.

Ein Klassiker ist die Aussage eines jüngeren FPÖ wählenden Paares in News. Diese Bewohner der funkelnagelneuen Seestadt Aspern haben sozusagen schon prophylaktisch Ängste und Sorgen: "Aber man macht sich halt auch Sorgen. Wegen der Flüchtlinge vor allem. Wir haben hier rundherum ja viel Platz, wo noch keine Häuser stehen – und da denkt man schon, ob sie vielleicht Zeltstädte hinstellen ..." Gibt es für so etwas einen politikwissenschaftlichen Fachausdruck? "Halluzinatorisches antizipatives Wahlverhalten" vielleicht?

Einerseits. Andererseits sind die Schwierigkeiten der "klassischen" Wiener mit denen aus der muslimisch-türkischen Sphäre nicht herbeihalluziniert. Sie sind nur zu lange verdrängt worden.

Jeder kann dazu selbst anekdotisches Material liefern. Und in Mails und Postings aus der Leserschaft kommt ein steter Strom an Erlebnissen, die mit Sicherheit nicht erfunden und/oder übertrieben sind: die Patientin mit Kopftuch, die im Spital nur mit sechsfachem männlichem Begleitschutz auftreten darf, der sich mehr als fordernd benimmt. Die muslimischen Bewohner eines Gemeindebaus mit Schwimmbad auf dem Dach, die den ganzen Familienanschluss zum Baden mitbringen. Oder wenn bei einer Diskussion mit Schülern eine 16-Jährige sagt, sie wähle den Strache, weil die "Türkenbuam im Park zu mir Christenf..." sagen. Oder, der Klassiker, wenn man "kaum noch ein deutsches Wort hört" (zum Beispiel in der U6). Größter Unterschied: die Unterschiedlichkeit der Dominanz der Religion im Alltagsleben. Ein Grünwähler schreibt: "Ich bin nicht aus der Kirche ausgetreten, um mich dann darüber zu freuen, wenn über diesem Weg die Religion wieder in die Mitte der Gesellschaft gebracht wird, mit all ihren fragwürdigen Ausprägungen."

Diese Aufzählung ist äußerst unvollständig. Das Zusammenleben ist spannungsgeladen. Wir haben das alle mehr oder weniger gewusst, aber eine Lösung fiel uns nicht ein. Häupl will jetzt Vertrauensleute in die Gemeindebauten schicken. Man wird sehen. An uns Journalisten ist es, diese "Ängste und Sorgen des Volkes" nicht mehr in den Hintergrund treten zu lassen. Und zwar die eingebildeten und die realen. (Hans Rauscher, 20.10.2015)